28.06.2017
René Lindenau
Erschienen in: KONKRETer (Kyffhäuserkreis, Thüringen)

Vom MARX IS MUSS Kongress, 2017

Revolutionäre Parlamentsarbeit in der Weimarer Republik und heute

Cottbus

Der Gebrauch von Zitaten ist so eine Sache. Oft werden sie genutzt, um die eigene Meinung argumentativ zu untermauern, oft erscheinen sie abgenutzt und damit sinnlos da ihnen jedes Fundament fehlt. So verhält es sich auch mit dem Wort: „Wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie verboten“ - weil die eigentlichen Entscheidungen außerhalb von Parlamenten in den Konzernvorständen getroffen würden.

Über das Für und Wider dessen, war in seiner Ausgabe von 2017, am 26. Mai in einer der zahlreichen Veranstaltungen des MARX IS MUSS Kongresses zu sprechen.

Die historische Flanke bediente der Historiker, Dr. Marcel Bois indem er über die Parlamentsarbeit der KPD in der Weimarer Republik referierte. Den Teil der heutigen real-politischen Arena „bespielte“ die Politikerin Janine Wissler, Fraktionsvorsitzende der LINKEN im hessischen Landtag.

Bois begann also mit einem historischen Exkurs in die Parlamentsgeschichte der KPD, die von zahlreichen Widersprüchen geprägt war. Einerseits trat man zu den Wahlen an, doch anderseits erschien man mit Trillerpfeifen, Kindertrompete im Reichstag, schimpfte auf das „Hohe Haus“, Zudem wusste man gewisse Privilegien (Freifahrtschein bei der Reichsbahn und die Immunität) zu nutzen. Ein Sozialdemokrat wurde gleich mal in einen „Faschisten-Block“ gesteckt. Es ging demnach ziemlich radauhaft zu - so berichtete er von der Reichstagseröffnung, 1924.

Wie man es heute nennen würde, „unparlamentarisches Verhalten“ war ja im Grunde gar nicht verwunderlich, taucht man in die programmatische Debatte der KPD in jenen Jahren zum Parlamentarismus ein, so wie es Bois tat. Die vorherrschende Meinung war, die Arbeit im Parlament wäre nicht im Interesse der Werktätigen. Wer bestimmt so was? Auf dem KPD-Gründungsparteitag habe sich die Strömung durchgesetzt, sich nicht an Wahlen zu beteiligen. Dem widersprach Rosa Luxemburg, denn viele dieser Werktätigen setzten entsprechende Hoffnungen auf die neue Partei.

In Lenin fand sie für ihre Postion einen Fürsprecher. Schließlich setzte auf dem Heidelberger Parteitag (1919) einer der Mitbegründer der KPD, Paul Levi, die Beteiligung der Partei an Wahlen durch. Im Jahr Eins vor Ende der Weimarer Zeit-Rechnung (1932) erreichte sie mit circa 16 Prozent ihr bestes Ergebnis und wurde drittstärkste Partei. Als Levi 1930 jedoch starb verweigerten sich NSDAP und KPD-Abgeordnete einer Schweigeminute und verließen demonstrativ den Saal. Saß bei letzteren die Wunde noch zu tief, da der Verstorbene wieder in der SPD war? Für mich eine unverständliche, nicht tolerierbare, schreckliche Parallelität.

Auch wenn man sich mit einer großen Portion Kritik in den parlamentarischen Betrieb begab, war man doch die fleißigste Fraktion. Keine hatte so viel Anträge und Anfragen vorzuweisen. Und das eingedenk der Meinung, das „wirkliche Veränderungen nicht durch das Parlament, sondern durch die Arbeiterbewegung zu erreichen seien“. Aber wo war sie, wo ist sie: Die Arbeiterbewegung? Im Biergarten, auf der Couch, oder saisonbedingt in der Sauna beziehungsweise je nach Gehaltsstufe im warmen Süden – doch nicht in dem Maße, wie wünschenswert und geboten, sich in die andauernden Klassenkämpfe einmischend. Dann sähe die Welt doch anders aus!

Dabei hat die Vorgängerpartei der LINKEN, die KPD, damals, bis heute aktuelle Forderungen in ihrem Arbeitsplan gehabt; soziale Verbesserungen, Kampf gegen Rassismus, Ablehnung des Paragraphen § 218.

Für die hessische CDU scheint die LINKE ziemlich bruchlos an die KPD anzuschließen, glaubt man einem Papier, das ihrer Partei und Fraktion eine Nähe zur KPD von 1918 unterstellt – berichte Janine Wissler: Gelächter im Saal! Konservativ heißt bewahren, warum nicht auch alte Feindbilder!

Für wichtige Punkte von linker Parlamentsarbeit hält die Fraktionsvorsitzende, die Herstellung von Öffentlichkeit, die Funktion ein Frühwarnsystem zu sein und Alternativen zu formulieren. Ferner ist ihr die Frage wichtig, wie kann man außerparlamentarische und gewerkschaftliche Bewegungen (Studiengebühren, Unterstützung von Streiks) unterstützen und ihre Anliegen stärken.

Ein Grundsatz der Arbeit ihrer hessischen Linksfraktion ist, die Betroffenen mit einzuladen. Wie zuletzt bei den Streiks von der Post und von den Busfahrern. Man ging im Plenum des Landtages ganz anders mit dem Thema um, da man die Postler und Busfahrer unter den Zuschauern wusste.

Sich einmischen bringt doch was! Dazu gehöre auch, das die Abgeordnetenbüros immer offen zugängliche Anlaufpunkte seien. So gedacht und praktiziert, kann eine linke Partei auch ein Korrektiv in der hiesigen kapitalistischen Gesellschaft sein, von dem die Fraktionsvorsitzende sprach. Der Erfolg geben der hessischen Landespartei und ihr persönlich, mit konstanten bis steigenden Wahlergebnissen, noch dazu im Westen, Recht. Es macht schon was aus, wenn man sich nicht mit „Sitzungssozialismus“ zufrieden gibt, sondern stets nahe bei den den Menschen, ihren Sorgen und Problemen ist. Man wünschte sich dies auch von anderen Landes- und Kreisverbänden... Die LINKE, und hier sprach die stellvertretende Bundesvorsitzende, müsse aktive Mitglieder- und Mitmachpartei sein. Die Linkspolitikerin gab auch zu bedenken, von einem „parlamentarischen Anpassungsprozess“,vor dem ist auch niemand von uns gefeit.

Davor bewahrt uns möglicherweise die Qualität und Quantität einer Mitglieder- und Mitmachpartei, denke ich.

Was nahm ich nun aus dieser Runde mit, außer es war angenehm und schön zuzuhören?

Lernen konnte man viel, (parlamentarische) Verweigerung bringt nichts. Das ist meine Schlussfolgerung aus dem Gesagten und dem im Anschluss Debattierten.