Do, 19. 10. 2023, 19:00 - 22:30, Dortmund
Antisemitismus in der DDR
Antisemitismus in der DDR
Bei der Erforschung und Beschreibung Antisemitismus in der DDR müssen zwei Prämissen berücksichtigt werden: Erstens ist es notwendig den Begriff „Antizionismus“ historisch zu analysieren, um ihn von seiner Entstehungsgeschichte her bis zu seinem Gebrauch als Tar-nung für Antisemitismus verstehen und bewerten zu können. Um zweitens das Ausmaß und die Tiefe des Antisemitismus in der DDR, sowohl als gesellschaftliches und staatliches Phänomen voll umfänglich reflektieren zu können, ist es unumgänglich, den Neonazismus in der DDR wahrzunehmen. Auch in der SED-Diktatur bildeten Neonazis sowohl die Speerspitze als auch den Motor, für eine sich dynamische entwickelnde rechte Bewegung, die sich gegen die Existenz der kommunistischen Herrschaft richtete. Die Anzahl der belegten neonazistischen Angriffe (etwa 7.000) im Verhältnis zu den belegten antisemitischen Ereig-nissen (etwa 900) bewegen sich in einer 5- bis 10-fach höheren Potenz.
Der Krieg gegen die Juden, den die Nazis 1933 einläuteten, ist seitdem ununterbrochen wei-tergegangen ist. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ tauchten unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder auf und heizten seither die fortgesetzten Versuche an, im Nahen Osten das zu vollenden, was den Nazis in Europa um ein Haar gelungen wäre. Die sowjeti-schen, arabischen und islamischen Kampagnen gegen Israel und die Juden sind Bestandteil eines vielschichtigen Kontinuums von Hasspropaganda, die nunmehr über Jahrzehnte ununter-brochen abläuft. Der Antisemitismus wurde dadurch, dass er von der Sowjetunion bis zu ih-rem Untergang und von der islami¬schen Welt bis in die Gegenwart gefördert und verbreitet wird, nicht harmlos. Die früher sowjetische und jetzt linksradikale, islamische und arabische Propa¬ganda ist im Wesentlichen nach dem Muster der „Protokolle“ gestrickt, mit der die Exis-tenz einer internationalen Verschwörung, die ihr politisches Zentrum in Israel und ihr Hinterland in der Diaspora hätte, behauptet wird.
Heute noch wird unter dem Schlagwort „Antizionismus“ Politik und Propaganda betrieben und es sollte sich niemand von dieser verbalen Neuerung darüber hinwegtäuschen lassen, was wirklich dahin¬tersteckt. Der Grund für die Maskierung ihres Antisemitismus liegt auf der Hand, weil durch die Massenmorde der Nazis die unverhohlene Feindschaft gegen Juden als rassische, religiöse oder ethnische Gruppe für den allergrößten Teil der westlichen Öffentlichkeit unakzeptabel geworden ist, sieht man einmal von den unverbesserlichen und unbelehrbaren alten und neuen Nazis ab. In der Folge hielten die kommunistischen, arabischen, islamischen und auch die neonazistischen Antisemiten, zur Rechtfertigung ihres neuen Ziels – der Beseitigung eines souveränen jüdischen Gemeinwesens – nach anderen intellektuellen Bezugsgrößen und Ausdrucksweisen Ausschau. Sie setzten Antizionismus an die Stelle von Antisemi¬tismus, der selbst vor etwa hundert Jahren als politischer Kampfbegriff an die Stelle von „Judenhass“, „Judenfeindschaft“ oder „Antijudaismus“ getreten war. Der Antisemitismus von heute musste sich als seine eigene ideologische Antithese maskieren – als Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus –, wollte er je wieder politisch wirksam werden. Wir haben es also mit dem Paradoxon eines Antisemitismus zu tun, der beständig beteuert, er richte sich nicht gegen die Juden als solche.
Der sowjetische Antizionismus hat, die von der radikalen Rechten des alten zaristischen Russ-lands kreierte Mythologie der „Protokolle“ mit dem Vokabular des Marxismus-Leninismus verbunden und aus diesem seltsamen Kreuzungsprodukt ist ein neuer Judenhass hervorgegan-gen, der sich als bedeutsames Element der sowjetischen Innen- und Außenpolitik etabliert hatte. Im zaristischen Russland, das im 19. Jahrhundert das klassische Land der Judenverfolgung war, wurde der Welt das hässliche Wort „Pogrom“ geschenkt. Dessen Geheimpolizei setzte als erste den Mythos der „internationalen jüdischen Verschwörung“ in die Welt, die ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Zentrum des sogenannten Kampfes gegen den „Weltzionismus“ geworden war.
Der kommunistische Antizionismus war und ist ein Ausdruck des politisch rationalisierten Antijudaismus und steht gleichzeitig für die Verbrämung der über lange Zeiträume hinweg tradierten antijüdischen bzw. ab den 1950er Jahren antiisraelischen Einstellungen. Die deut-schen Kommunisten hatten sich, spätestens seit Mitte der 1920er Jahre, dem absoluten Füh-rungsanspruch des EKKI bzw. der Partei der Russischen Bolschewisten, in der Person von Josef Stalin, Generalsekretär des Zentralkomitees, freiwillig unterworfen, d. h. die KPD wurde in ihren wesentlichen Zügen von der KPdSU geführt. Die Führungspersonen der KPD bzw. SED, z. B. Honecker, Mielke, Wollweber oder auch Zaisser wurden vor und nach 1945 an der „Lenin-Schule“ oder anderen Bildungsstätten geschult bzw. waren dort als Lehrer tätig.
In das antisemitisch aufgeladene politische Klima in der Sowjetunion wurde zum ersten Mal das pseudo-theoretische Konstrukt des „Antizionismus“ eingesetzt, dass den Staat Israel als Ausdruck der Machenschaften von US-Geheimdiensten denunzierte. Bis dahin hatte die Sow-jetunion die Gründung des Staates Israel wohlwollend begrüßt und, über den Umweg Tsche-choslowakei, „deutsche oder tschechische Beutewaffen“ an die Juden in Palästina verkauft. Am 9. Februar 1953 „warf ein Fanatiker eine Bombe auf das Territorium der Sowjetbotschaft“ in Tel Aviv, was die Sowjetunion zum Anlass nahm, um die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen und erst nach dem Tod Stalins, im Juli 1953, wurden sie wieder aufgenommen. Am letzten Tag des „Sechstagekrieges“, am 10. Juni 1967, brach die Sowjetunion, und in ihrem Gefolge auch die anderen Staaten des Warschauer Paktes, mit Ausnahme von Rumänien, die diplomatischen Beziehungen mit Israel ab.
In den 1930er Jahren wurde noch nicht das Bild einer „jüdischen Verschwörung“ skizziert, aber jüdische Kommunisten wurden beschuldigt, an „jüdischen Verschwörungen“ teilgenommen zu haben; so musste das Feindbild von den „illoyalen“ Juden nach 1945 nicht erst erfunden werden, denn dieses antisemitische Potential war schon seit 1936, mit der Hetze gegen das „trotzkistisch-sinowjetische“ Terrorzentrum vorhanden.
Aber auch in anderen von der Sowjetunion kontrollierten Staaten wurden Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre Jüdinnen und Juden juristisch und politisch diskriminiert und angegriffen: Ana Pauker, eine rumänische Kommunistin mit jüdischer Herkunft, sie war von 1947 bis 1952 Außenministerin Rumäniens, wurde 1952 Opfer einer antisemitischen Säuberung in der KP Rumäniens. In Prag wurde 1952 gegen Rudolf Slánský, Jude und ehemaliger Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, und 13 andere, meist jüdische, kommunistische Parteifunktionäre ein Schauprozess inszeniert und elf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 gehängt wurden. Ihre Leichname wurden verbrannt und die Asche wurde von Mitarbeitern der Staatssicherheit auf einem Feld außerhalb Prags verstreut. Eine der Besonderheiten dieser Justizfarce, die von Anfang bis Ende von den sowjetischen Beratern der politischen Polizei inszeniert worden war, war ihr offen antisemitischer Charakter. Elf der 14 Angeklagten waren Juden, und ihnen warf man vor, eine „trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Terrorgruppe“ gegründet zu haben. Im September 1963 wurde Slánský juristisch rehabilitiert und 1968 erfolgte seine politische Rehabilitation durch die KP der CSSR. Die antisemitischen Kampagnen, die stalinistischen „Säuberungen“ und Prozesse in Osteuropa, erreichten auch Ungarn, als im Sep¬tember 1949 in Budapest der „Rajk-Prozess“ veranstaltete worden war. Dies war ein Prozess gegen den ehemaligen Spanienkämpfer und Innen- und Außenminister Laslo Rajk u. a., bei dem insgesamt fünf Angeklagte zum Tode verurteilt und drei weitere zu lebenslangen bzw. zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Rajk wurde am 27. März 1956 vom obersten Gericht Ungarns rehabilitiert und die Leichen der Hingerichteten, sie waren in einem Wald bei Budapest verscharrt worden, wurden exhumiert und am 6. Oktober 1956 ordentlich auf dem Zentralfriedhof, im Beisein einer großen Menschenmenge, beerdigt. Mit dem Prozess gegen L. Rajk wurden auch die Auswirkungen der antisemitischen Welle in der DDR sichtbar,
Antisemitischer Antizionismus nach Innen und Außen der SED
Das Politbüro der SED beschäftigte sich im Februar 1949 mit antisemitischen Stimmungen in Berlin (DDR) und in der Partei und im November 1949 begannen die „Säuberungsaktionen der Zentralen Parteikontrollkommission“. Der Beschluss des ZK der SED vom 20. Dezember 1952, in dem für die DDR „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ gezogen werden sollten, beinhaltete die Darstellung einer angeblichen „Spionage- und Diversanten Tätigkeit mit Hilfe zionistischer Organisationen“ und P. Merker wurde beschuldigt, die ostdeutsche Filiale dieser internationalen „Verschwörung“ geleitet zu haben. Besonders Emig-ranten die aus dem Westen zurückgekehrt waren, wie Merker und Franz Dahlem, waren im Visier der antisemitischen Angriffe. Merker war in der KPD Mitglied im Zentralkomitee und im Politbüro gewesen und er hatte in der SED die gleichen Funktionen inne. Er war der Einzige führende kommunistische Funktionär, der die „jüdische Frage“ in Schriften und Reden bereits in der Emigration in Mexiko thematisiert hatte und der sich nicht nur für Entschädigungen der von den Nazis verfolgten Juden einsetzte, sondern er forderte auch, die Gründung eines jüdischen Staates zu unterstützen und plädierte für eine Anerkennung der Juden als nationale Minderheit in Deutschland. Im Gegensatz zu den Texten und Reden von W. Ul-bricht und W. Pieck, die sie im Moskauer Exil äußerten, war für Merker der Rassenwahn der Nazis der Kern seiner Faschismusanalyse. Dadurch geriet er im August 1950 in Konflikt mit dem antisemitischen Antizionismus, wurde 1950 aus der SED ausgeschlossen und im 30. November 1952 verhaftet. Ihm und anderen Kommunisten war vorgeworfen worden, sie hätten Spionage für den US-Geheimdienst betrieben. Tatsächlich hatte Merker, zusammen mit Leo Zuckermann, ein „Wiedergutmachungsgesetz“ auf den Weg gebracht, dass jedoch nie beschlossen wurde. Bei den „Säuberungen“ wurden bis 1953 insgesamt etwa 150.000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen und dabei wurden auch jüdische Journalisten der elektronischen Medien sowie der Printmedien, wie Willi Kreikemeyer, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Lex Ende, Wolfgang Langhoff und Leo Zuckermann mit der Begrün¬ung ausgeschlossen, sie hätten mit Noel H. Field in Verbindung gestanden. Merker hatte Field während der Emigration kennengelernt, als der ihm 1942 bei seiner Flucht geholfen hatte. Nach dem antisemitischen Slansky-Prozess im Dezember 1952 in Prag, hatte das ZK der SED am 14. Mai 1953 Merker als „Agent“, als „Kapitulant“ und als „Verräter“ bezeichnet. Er wurde als Staatssekretär degradiert und leitete danach eine HO-Gaststätte in Luckenwalde, südwestlich von Berlin. P. Merker wurde am 30. November 1952, als einer der prominenteren Fälle, vom MfS festge-nommen. Seinen Vernehmungen wurden „im Zimmer 28“ von einem Deutschen und einem Sowjetbürger durchgeführt. Durch Überlieferung der Aufzeichnungen eines „Zellenspitzels“ wissen wir, „weitgehend authentisch“, wie es dem tapferen P. Merker in der Haft ergangen ist: „Dabei sind Schimpfworte an der Tagesordnung. Ich bin mit Erschießen, 15 Jahren Zuchthaus und allem Möglichen bedroht worden. Als ich zu beiden Vernehmern mehrmals sagte, dass der Tod für mich eine Erlösung ist und ich mich nicht fürchte, drohten sie mir meine Familie ebenfalls zu vernichten. Das geht nun schon sieben Wochen so und jeden Tag wiederholt sich das Gleiche“. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft in der Untersuchungs-haftanstalt des MfS in Berlin-Hohenschönhausen, wurde er im März 1955 vor dem 1. Straf-senat des Obersten Gerichts der DDR angeklagt und am 30. März zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die er im Zuchthaus Brandenburg verbringen musste. Als Beweisgründe für den Schuldspruch werteten die Richter Merkers Eintreten für die „ausnahmslose Entschädigung aller aus Deutschland emigrierten Juden ... und für das Recht der nach Deutschland zurück-kehrenden Juden auf Anerkennung als nationale Minderheit und die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates“. Seinen verschiedenen Stellungnahmen hatten die Behörden entnom-men, dass er die Rassentheorie und die Verfolgung der Juden zum Kern seiner Analyse des deutschen Faschismus erhoben hatte. Am 27. Januar 1956 wurde Merker aus der Haft entlassen und ab Mai 1956 war er wieder Mitglied der SED. In einer geheimen Verhandlung wurde Merker im Juli 1956 von demselben Gericht rehabilitiert, das ihn verurteilt hatte. Er war nun juristisch, aber nicht politisch rehabilitiert und kurz vor seinem Tod, Paul Merker war physisch und psychisch „gebrochen“, wurde ihm postum von der Regierung der DDR der „Vater-ländische Verdienstorden“ in Gold verliehen. Seine Frau Margarete war Anfang Juni 1953 aus der SED ausgeschlossen worden und der Status als „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) wurde ihr aberkannt, was nur als Ausdruck von „Sippenhaftung“ zu verstehen ist. Merker wurde vorgeworfen, er hätte Spionage für den Geheimdienst der USA betrieben. Bei den Prozessen wurde eine angebliche „titoistische“ Verschwö¬rung postuliert, in deren Mittelpunkt der US-Amerikaner Noel Field gestellt wurde, der in die CSSR eingeladen worden war, dort festge-nommen wurde und nach Ungarn gebracht, wo er in einem Geheimgefängnis der Geheimpoli-zei (AVH) bis 1954 inhaftiert worden war.
Der Flucht von so vielen Juden in den Westen waren mas¬sive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, denen vorgeworfen wurde, Kontakte zu westlichen Hilfsorganisati-onen aufgenommen zu haben. Bereits Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „Care“-Paketen hatten zu repressiven politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden. Unter den Geflüchteten befanden sich Julius Meyer, Präsident der Jüdischen Gemeinden, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer, der begleitet von Familienangehörigen, nach Berlin (West) geflüchtet war. Ebenso flüchtete Leo Zuckermann, er war im Exil mit P. Merker Mitglied der „Bewegung Freies Deutschland“ und später Staatssekretär in der Kanzlei von Staatspräsident Wilhelm Pieck. Leo Löwenkopf, er war Widerstandkämpfer, Häftling in den Konzentrationslagern Majdanek, Auschwitz und Sachsenhausen, Mitglied der SED und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dresden, flüchtete ebenfalls. Die Flucht von etwa 550 Juden nach Berlin (West) hatte umfangreiche Durchsuchungen und Verhöre durch die Kriminal- und Volkspolizei und den Staatssicherheitsdienst zur Folge. Wohnungen wurden nach „staatsfeindlichem“ Material durchsucht, während sich die Bewohner beim Verhör bei der Volkspolizei befanden. In mehreren Fällen wurden Korrespondenzen, Akten und auch Personalausweise beschlagnahmt. Der im Ort Kleinmachnow, südlich von Berlin, lebende Julius Meyer, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer wurde Ende 1952, Anfang 1953 massiven antisemitischen Repressionen unter-zogen und begleitet von mehreren Familienangehörigen flüchtete er im Januar 1953 in den Westen. Mit ihm flüchteten sechs von sieben Gemeindevorstehern – Helmut Salo Looser, (Leipzig), Leon Löwenkopf (Dresden), Günter Singer (Erfurt), Horst Karliner (Magdeburg), Leon Zamorje (Halle) und Walter Kappel (Eisenach). Zu den Flüchtlingen gehörten Fritz Grunsfeld und Leo Eisenstadt, Vize-Präsident und der Generalsekretär des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Auslöser dieser Flucht war die Verhaftung von P. Merker, wobei die Verhaftungen am 21./22. November von Paul Baender, ehemaliger Staats-sekretär, und von Hans-Heinrich Schrecker, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“ am 24. November 1952, vorausgegangen waren. Unter den Flüchtlingen befand sich auch Heinz Freund, Kammergerichtspräsident in Berlin und Heinz Fried, Direktor der Wasserwerke in Berlin. Alle Insassen des Jüdischen Kinderheims in Berlin-Niederschönhausen fuhren zu-sammen mit den Erzieherinnen mit der Straßen¬bahn über die Sektorengrenze.
Eine Abteilung P6 („Judenreferat“) des Staatssicherheitsdiensts plante in Frankfurt/O. mehrere Zeltlager, die von Stacheldraht umzäunt sein sollten, doch das war dann nicht mehr nötig. Ein Ergebnis der antisemitischen „Säuberungen“ des MfS von 1952/53 ergab 912 jüdische Haushalte und weitere 1.098 Familien, deren Vorstand „aus einer Mischehe“ stammte.
Zwei Tage nach dem Artikel in der „Prawda“ wegen der „ärztlichen Saboteure“ zog das Sek-reta¬riat des ZK der SED am 15. Januar 1953, unter der Leitung von W. Ulbricht, die „Lehren aus der Aufdeckung der terroristischen Tätigkeit einer Ärztegruppe in der Sowjetunion“ und eine Maßnahme sollte die Bildung einer Kommission sein, die aus Mitgliedern der SED, dem Staatssicherheitsdienst (SSD) und vertrauenswürdigen Ärzten bestand, die Untersuchungen im Regierungskrankenhaus und in Krankenhäusern der Volkspolizei und des Ministeriums für Gesundheitswesen durchführte. Während der gleichen Sekretariatssitzung wurde auch die Zeitschrift „Der Weg“ der Jüdischen Gemeinde Berlin, deren Herausgeber seit 1946 Heinz Galinski war, verboten. Zusätz¬lich wurde die ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung beauftragt die „Leitung der Jüdischen Ge¬meinde zu überprüfen“ und etwaige Vorschläge dazu zu erarbeiten.
Für die SED-Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 21. Januar 1953 war die Flucht „Einge-ständnis und Beweis dafür, dass sie seit langem als zionistische Agenten mit Westberliner Auftraggebern paktiert und zusammengearbeitet haben“. Damit wären sie „in den Schoß der Organisationen der faschistischen Massenvernichtungslager von Auschwitz, Maidanek und Treblinka“ geflüchtet.
In den Jahren danach nahm die SED immer wieder Einfluss auf die Besetzung von Führungs-positionen der Jüdischen Gemeinden. Um diese politische Kontrolle zu realisieren, bediente man sich Mitte der 1950er Jahre auch antisemitischer Vorurteile, die darauf abzielen sollten Hermann Baden, als Person und in seinen Funktionen als Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle, zu desavouieren. Das Ziel war seine Absetzung und dafür waren sich die Offiziere des MfS auch nicht zu schade und bedienten sich auch antisemitischer Vorurteile. Auf jeden Fall, so der Bericht wörtlich, sei „Baden zu isolieren“ um einen Vorstand zu bekom¬men der „im positiven Sinne unserer Gesell-schaftsordnung“ arbeitet.
Um Einfluss auf die Jüdischen Gemeinden nehmen zu können war der Verband der jüdischen Gemeinden offiziell nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch ausdrücklich als „po-litische Organisation“ eingestuft. Durch diese Zwangspolitisierung begründete die SED ihren Anspruch auf ihre Mitwirkung bei der Besetzung von Führungspositionen in den Jüdischen Gemeinden. Weil einige Vorsitzende der jüdischen Gemeinden wegen Alters und Krankheit zurücktreten mussten, wurden in der SED Überlegungen angestellt, wie, mit wem, diese frei werdenden Posten neu besetzt werden könnten. Weil an diese, für die Funktionäre primär als politische Ämter verstandenen Posten auch internationale Beziehungen gebunden waren, musste der neue Vorsitzende des Verbandes auf jeden Fall ein „Genosse“, d. h. Mitglied der SED sein. Zusätzlich legitimiert wurde diese Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden mit der Begründung, der Staat stelle „jährlich erhebliche finanzielle Mittel“ zur Verfügung für die Begleichung von Verwaltungskosten, Veranstaltungen sowie für die Pflege und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe. Außerdem, so die paternalistische Rhetorik, werde der Synagogalchor in Leipzig finanziell unterstützt, obwohl der überwiegende Teil der Sänger keine Juden seien bzw. keine jüdische Herkunft hätten. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur sollte dem Verband der jüdischen Gemeinden sein Weiterbestehen auch deshalb garantiert werden, weil die Pflege des „jüdischen Kulturguts“ auch ein bedeutendes Gewicht darstelle für die Interessen der Außenpolitik der DDR. Die Entwicklung einer Politik des antisemitischen Antizionismus gegen Israel und für die Palästinenser und arabischen Staaten, hat hier in der DDR ihren Anfang.
Antifaschismus und Entnazifizierung
Am 30. April 1945 war, als ein Teil der übrig gebliebenen Exil-Führung der KPD, die „Grup¬pe Ulbricht“, aus Moskau nach Deutschland zurückgekehrt, um das öffentliche Leben in Berlin und die Gründung von Parteien, Gewerkschaften und Institutionen zu organisieren. Die Existenz die¬ser Gruppe wurde in der DDR bis 1955 verschwiegen, wahrscheinlich um den Einfluss der aus dem Moskauer Exil zu¬rückgekehrten Funktionäre der KPD vor den Au¬gen der Öffent¬lichkeit zu verschleiern. Dane¬ben gab es noch zwei „Regionalgruppen“, in Sachsen unter der Leitung von Anton Acker¬mann und in Mecklenburg-Vorpommern war Gustav Sobottka der Leiter. Auf Veranlassungen von W. Ulbricht kamen im Juni 1945 in die SBZ etwa 70 deut¬sche Kommunisten und 300 ehemalige kriegsgefangene Soldaten der Nazi-Wehrmacht, die in der Sowjetunion „Antifa-Schulen“ durchlaufen hatten.
Als eine der ersten Maßnahmen wurden die nach der Niederlage Deutschlands spontan gebil-deten und autonom agie¬renden antifaschistischen Komitees an der Basis der Gesellschaft auf-gelöst. In einem Brief vom 9. Mai 1945 teilte W. Ulbricht dem stellvertretenden Abteilungs-leiter beim ZK der KPdSU, G. Dimitroff mit: „Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung ‚Freies Deutschland’ und die Ausschüsse der Leute des 20. Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben diese Büros geschlossen und den Genossen klargemacht, dass jetzt alle Kräfte auf die Arbeit in den Stadt-verwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüsse müssen ebenfalls zur Arbeit in die Stadtverwaltungen übergeführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden“.
Ulbricht legte gleichzeitig Wert darauf, Dimitroff Namen von Personen vorzuschlagen, die am Aufbau der Verwaltungen beteiligt werden sollten. Neben einigen altgedienten Mitgliedern und Funktionären der KPD schlug er Prominente vor, wie den Schauspieler Heinz Rühmann und den Chirurg Prof. Ferdinand Sauerbruch, die beide den Nazis bis zum Schluss gefolgt waren. Hier wird im Kern die Ein¬sicht der Führung der KPD sichtbar, dass der Aufbau gesellschaftlicher bzw. staatlicher Strukturen nur mit und schon gar nicht gegen die Masse der Nazis und ihrer Mitläufer mög¬lich sein würde. Der antifaschistische Anspruch der KPD fand auf diesem machtpolitischen Feld seine Grenzen und wurde ab diesem Moment zu einer ide-ologischen Waffe, mit der die eigene mangelnde Aufarbeitung des Nazismus auf die Situation in Westdeutschland bzw. BRD projiziert werden konnte.
Ein besonderes Augenmerk fällt auf Ulbrichts Vorschlag, Paul Markgraf, er kam als „antifa-schistischer Kriegsgefangener“ mit der Gruppe Ulbricht nach Deutschland, als „Oberst“ zum Po¬lizeipräsident von Berlin (1945 bis 26. Juli 1948) bzw. von Berlin-Ost (1948 bis 1949) zu er-nennen. Markgraf war ab 1931 Berufssoldat bei der Reichswehr und nahm als Offizier am Zweiten Weltkrieg teil, wo er mit dem „Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz“ ausgezeichnet wor-den war. Bei der Schlacht um Stalingrad kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wurde Mitglied im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD), war Gründungsmitglied des „Bundes Deutscher Offiziere“ (BDO) und er besuchte eine antifaschistische Schule. 1946 wurde Markgraf Mitglied der SED. Von 1951 bis 1971 war er Offizier des Ministeriums für Staatssi¬cherheit (MfS) und Stabschef des Wachregimentes des MfS.
Bei einer Diskussion, wie die Berliner Bezirke neu zu verwalten wären, erklärte W. Ulbricht: „Der erste stellvertretende Bürgermeister, der Dezernent für Personalfragen und der Dezernent für Volksbildung – das müssen unsere Leute sein. Dann müsst ihr noch einen ganz zu-verlässigen Genossen in jedem Bezirk ausfindig machen, den wir für den Aufbau der Polizei brauchen. […] Es ist doch ganz klar: es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Diese Aussage hatte programmatischen Charakter für die Gründung der „Deutschen Demokratischen Republik“, an der der Name „Demokratisch“ das einzig demokratische war, denn hinter diesem Label war alles real, nur keine demokratischen Verhältnisse. Die deutschen Kommunisten hatten als SED bereits ihre historischen Lektionen durch Lenin und Stalin insoweit verstanden, als sie sich längst mit bolschewistischen, sprich autoritären, zentralistischen und militaristischen Strukturen und Inhalten identifiziert hatten. Ausblicke auf individuelle und kollektive emanzipatorische Perspektiven, demokratischer, sozialistischer und humanistischer Provenienz, waren nicht existent. Die DDR war eine Diktatur von Linken, die basis-demokratische Realitäten in etwa so fürchteten, wie der Teufel das Weihwasser.
Kurz vor der Gründung der DDR, im Juni 1948, erklärte W. Ulbricht in einem Zeitungsinterview: „Wir haben heute in der Sowjetischen Besatzungszone nicht wenige frühere aktive Nazis, die eine verantwortliche Arbeit leisten. Jedenfalls können sie bestimmte Leistungen aufweisen, was man von einigen Mitgliedern der Christlich-Demokratischen Union und Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands nicht sagen kann, die nach Washington und London schielen.“ Im November 1952 verkündete die SED-Tageszeitung „Neues Deutschland: „Hier wurden nicht nur die Wurzeln des Faschismus und Antisemitismus vernichtet, sondern auch gleichzeitig alle Versuche zur ihrer Wiederbelebung in der Verfassung unter schwerste Strafe gestellt.“
Dennoch ist Antisemitismus auf einer gesellschaftlichen als auch auf einer staatlichen Ebene und sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik der DDR sichtbar geworden. Die Bedeutung der zeithistorischen Studie zur Diskussion um den Antisemitismus in der DDR liegt in der Offenlegung der Fakten zum Antisemitismus im Land selbst und der Sichtbarmac-hung der dialektischen Beziehung zwischen diesen antisemitischen Potentialen in der Gesell-schaft und der antizionistischen Außenpolitik. Als alles dominierende Staatspartei trug die SED die Verantwortung für die Entwicklung sublimer antisemitischer Potentiale, nicht nur durch ihre Außenpolitik gegenüber dem Staat Israel, sondern auch durch ihre Politik gegen-über den Juden in der DDR. In Anbetracht der wenigen dort verbliebenen und offiziell gemel-deten Jüdinnen und Juden, es gab so gut wie keine jüdische Bevölkerung, kann man von einem Antisemitismus sprechen, der ohne Juden auskam. Im Besonderen ging es in der DDR seit 1948 vorrangig auch darum, die politische und soziale Rehabilitierung ehemaliger Nazis durchzusetzen.
Die Lage der Juden und der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde weitgehend bestimmt durch Maßnahmen der alles beherrschenden SED und so beschäftigte sich im Februar 1949 das Politbüro der SED mit den in Berlin und in der Partei grassierenden antisemitischen Stimmungen und im November begannen dann die „Säuberungsaktionen“ der „Zentralen Par-teikontrollkommission“ (ZPKK). In Sachsen wurde in den Akten nach „jüdischer und jüdisch-bürgerlicher Herkunft“ unterschieden, obwohl von E. Mielke offiziell angeordnet, nach „kleinbürgerlichen Feiglingen“ gefahndet werden sollte. Davon waren in der Regel ehemalige Emigranten betroffen, die aus dem Westen in die SBZ bzw. DDR zurückgekehrt waren. Im Januar 1952 hatte die sowjetische Besatzungsmacht die Parteiführung der SED aufgefordert alle Juden in einer speziellen Kartei zu registrieren und im Juli 1952 wurde das gesamte jüdi-sche Eigentum aufgehoben und in Volkseigentum überführt.
Infiltration und Zersetzung der Jüdischen Gemeinden
Im Gegensatz zum Partei- und Staatsapparat, kontrollierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) über seine Kirchenabteilung V / 4, ab 1964 XX / 4, sie war der Hauptabteilung „Politi-sche Untergrundtätigkeit“ zugeordnet, die Jüdischen Gemeinden überwiegend konspirativ. Grundlage dieser Tätigkeiten war die bis 1989 anhaltende, generelle Identifizierung von Juden mit dem Feindbild des Zionismus, wobei sich die Offiziere des MfS zur Informations-gewinnung zu einzelnen Personen auch Material der Geheimen Staatspolizei der Nazis heran-zogen. Im Jahr 1955 wurde ein republikweiter „Objektivvorgang“ angelegt, der die Gemeinden als „sicherheitsrelevanten Bereich“ einstufte und damit konnten die Bezirks- und Kreis-dienststellen des MfS Überwachungsmaßnahmen durchführen, wie Post- und Telefonüberwachung und Zeitschriften mit hebräischen Schriftzeichen oder Briefe internationaler jüdischer Organisationen wurden konfisziert. Die HA XX / 4 kontrollierte alle Aktivitäten die Jüdischen Gemeinden und der mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge, gleich ob sie offiziell oder geheim durchgeführt worden sind.
Auch auf das Staatssekretariat für Kirchenfragen nahm das MfS vielfältigen, offenen und ver-deckten Einfluss, was daran ersichtlich wird, dass die Staatssekretäre, z. B. Klaus Gysi, sein Stellvertreter Hermann Kalb und sein Nachfolger Kurt Löffler als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) die Gewähr dafür boten, „dass die Zusammenarbeit mit dem MfS auch von Seiten der Leitung des Staatssekretariats abgesichert war“. Andere Mitarbeiter des Staatssekretariats waren als Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) für das MfS tätig, so der Hauptabteilungsleiter Peter Heinrich, sein Referent Eckhard Stephan und Peter Arndt aus der Abteilung Rechts- und Grundsatzfragen. Der Leiter der Abteilung „Evangelische Kirche und Kleine Reli-gionsgemeinschaften“, Hans Wilke, von 1958 bis 1990 im Staatssekretariat beschäftigt, war seit 1954 unter dem Decknamen „Horst“ als IM tätig und weil ihn seine Vorgesetzten als zu-verlässig einstuften, stieg er in die höchste IM-Kategorie auf, zum „Inoffiziellen Mitarbeiter mit Feindberührung“ (IMB). Alle wesentlichen mündlichen und schriftlichen Vorgänge des Staatssekretariats übermittelte er der HA XX / 4 und nahm so in der „politischen Steuerung und geheimdienstlichen Kontrolle der jüdischen Gemeinden“ eine Schlüsselstellung ein.
Zur besseren Informationsbeschaffung und zur Verhinderung der unterstellten „Feindtätigkeit“, sollten die „reaktionären Kreise (Zionisten) innerhalb der Gemeinden und deren Orga-nisationen“ durch die Tätigkeiten von Agenten als „Geheimer Informator“ (GI) bzw. „Geheimer Mitarbeiter“ (GM) „entlarvt“ werden. So wurden mehrere Mitglieder der Berliner Gemeinde zu Inoffiziellen Mitarbeitern wie Willy Bendit als IM „Alfred“, Heinz Schenk als IM „Heinz, Hans Levy als IM „Ludwig“, Israel Rothmann, Siegfried Wexberg und Dr. Ödön Singer als IM „Dr.“. Nach dem Tod von Heinz Schenk übernahm 1971 Dr. med. Peter Kirchner den Vorsitz der Gemeinde und 1977 wurde er als IM „Burg“ im MfS aufgenommen und Ende 1980 in die höchste Kategorie als „Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindver-bindung“ (IMB) befördert. Kirchner wie E. Gollomb waren ab jener Zeit die einzigen Gemeindevorsteher gewesen, die nicht der SED angehörten.
Das Vorstandsmitglied Dr. habil. Werner S. Zarrach war in den 1970er und 1980er Jahren als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das MfS tätig. Bevor er in die DDR kam arbeitete er in Polen für den dortigen Sicherheitsdienst. Er ließ sich im Juni 1963 von der Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder (BVfS) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Rainer Buch“ anwerben und „bis 1969 stellte er der Staatssicherheit seine Wohnung als konspirativen Treffpunkt zur Verfügung und er berichtete aus seinem persönlichen und beruflichen Umfeld“. In Berlin (DDR) lebend, ließ er sich 1971 von der HA XX/1 als IMS „Gerd Steinberg“ erneut anwerben und arbeitete dann bis zum Oktober 1989 für das MfS. Seine Berichte füllten in der Behörde vier Bände, in denen sich auch zahlreiche Informationen über die Jüdische Gemeinde in Berlin (DDR) befan-den, deren Vorstand er ab 1972 angehörte. Seine Tätigkeit wurde u. a. mehrfach mit Prämien, mit der Verdienstmedaille der NVA in Bronze (1975) und in Silber (1981) sowie mit Sachgeschenken belohnt. Übersetzungsarbeiten polnisch/deutsch, die er für das MfS an¬fertigte, wur-den mit mehreren tausend Mark vergütet. Ein weiteres Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Berlin (DDR), Dr. Irene Runge, arbeitete „von 1962 bis 1966 und von 1971 bis 1985 als IMS „Stefan“ für die HA XX/7 (Politische Untergrundtätigkeit in Kunst und Kultur) des MfS. Runge war seit 1983 im Vorstand tä¬tig und verdiente sich durch Bespitzelung von Bekannten und Freunden mehrere tausend Mark“.
H. Aris Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, später Verbandspräsi¬dent, arbeitete von März 1954 bis zum Juli 1956 unter dem Decknamen „Lanus“ als „Geheimer In-formator“ für das MfS. Er berichtete dem Staatssekretariat und dem Referenten für Kirchen-fragen in Dresden ausführlich über innere Angelegenheiten der Gemeinden und des Verban-des und befolgte die politischen Vorgaben. Im April 1989 wurde Dr. P. Fischer als Sekretär des Verbandes der Jüdischen Gemeinden und als Leiter der neueingerichteten Berliner Ge-schäftsstelle angestellt. Er arbeitete von 1969 bis 1974 als IM „René“ für die HA II Spionage-abwehr. Von 1987 bis Dezember 1989 spitzelte er als IMS („Frank“) aus „politisch-ideologi-scher Überzeugung“ für das MfS. Noch im August 1989 unterwarf er sich der Diktion der SED und erklärte sich gegenüber dem MfS als ein Mann „ohne“ Glaubensbekenntnis. 1990 wurde er Leiter der Berliner Außenstelle des Zentral¬rats der Juden in Deutschland und „Ge-denkstättenreferent“. Er war Ehrenpräsident des jüdischen Hilfswerks ACHMA Deutschland, das sich besonders um Überlebende des Holocaust kümmert.
H. Eschwege, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dresden, arbeitete vom Mai 1956 bis zum Juni 1958 als „Geheimer Informant“ (GI) „Bock“ für das MfS. Eschwege berichtete „über seine internationalen Kontakte zu führenden jüdischen Funktionären“. Als er im Sommer 1956 in die BRD reiste, hatte er vom MfS den Auftrag angenommen, Kontakte zu Leo Löwenkopf herzustellen, der damals noch Mitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf war. Ein Jahr später ließ er sich vom MfS, gegen Bedenken der SED, nach Israel schicken, von wo aus er umfangreiche Berichte und Materialien mitbrachte. Vom Oktober 1985 bis zum November 1989 spitzelte er als IMS „Ferdinand“ erneut für das MfS, wo er vorgesehen war zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs, d. h. er berichtete über „feindlich-negative“ Handlungen, Personen und Personenkreise seines beruflichen und persönlichen Umfelds. So berichtete er über „innere Verhältnisse in den jüdischen Gemeinden der DDR, über Tagungen zum jüdisch-christlichen Dialog, über Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Dres¬den und des Verbandes […]“ usw. usf.
Dr. H. Simon, Vize-Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins und seit 1988 Stiftungsdirektor der „Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ signalisierte Anfang 1989, dass er „gern mit dem MfS in Verbindung stehen möchte“ und dass er „jederzeit für Fra¬gen und Probleme zur Verfügung“ stehen würde. Am 3. Mai 1989 berichtete er eine Stunde lang über Interna der Stiftung und am 25. Mai 1989 bat er um eine Überprüfung eines Bewerbers für ein Amt in der Stiftung. Am 29. September gab es den letzten Eintrag in der Akte HA XX/4, Nr. 2192.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Männer in den Jüdischen Gemeinden, die sich der geschickt geflochtenen Unterwanderung und Repression entzogen, unübersehbar waren und sie konnten so zur Zielscheibe für Repression und Hetze werden. Bereits 1953 nach der Flucht von hunderten von Jüdinnen und Juden aus der DDR kritisierte H. Baden als Verbandsvorsitzender eine üble Stellungnahme des Vorstands der Berliner Gemeinde, in der die Geflüchteten als Kriminelle dargestellt wurden: „Uns ist nicht bekannt, welche kriminellen Handlungen die seinerzeit weggegangenen Mitglieder begangen haben sollen. […] Es wäre nach unserer Auffassung richtiger, wenn man auf die Vorgänge im Januar 1953 zurückgeht, auch zu erwähnen, was denn diese Panik ausgelöst hat. Wir erinnern an die später als falsch bekanntgemachte Meldung über die angeblichen Verbrechen jüdischer Ärzte in der Sowjetunion“. Er kritisierte ebenfalls die einseitige Propaganda im Gemeindeblatt, verwies auf Ungerechtigkeiten bei den Renten die die Verfolgten des Naziregimes erhielten, auf die ausgebliebene Wiedergutmachung, auf wiederholte Schändungen jüdischer Friedhöfe und das Fortleben von Antisemitismus in ostdeutschen Publikationen. Um die politische Kontrolle über ihn zu rea¬lisieren, bediente man sich auch antisemitischer Vorurteile. Baden war von 1944 bis 1945 Gefangener im KZ Sachsenhausen. Er war, neben seiner Funktion als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle von 1946 bis 1962, auch von 1953 bis 1961 Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Bei der Entwicklung dieser Intrige setzten SED-Funktionäre auch auf antisemitische Vorurteile und die Maßnahmen gegen Baden sollten auf jeden Fall das Ziel haben, ihn zu „isolieren“. Baden war für das MfS ein „typischer Jude“ der nur „ma¬teri¬elle Vorteile“ im Blick hätte. Er würde zu Leu¬ten mit SED-Nähe auf Distanz gehen und er hätte „gute Verbindungen mit dem Leiter der jüdischen Gemeinde von Westberlin“ (Heinz Ga¬linski, HW), den er auch öfters zusammentraf.
Insgesamt war es den Vertretern der Jüdischen Gemeinden und des Verbandes nicht erlaubt, sich zu innen- oder außenpolitischen Ereignissen öffentlich kritisch zu äußern. Es war Ihnen nur erlaubt ihre Kritik am Antisemitismus bzw. Antizionismus der Regierung ausschließlich in internen Diskussionsrunden zu äußern. Von den Funktionären der Jüdischen Gemeinde von Groß-Berlin abgesehen, sie verloren öffentlich kein Wort über die Schändungen jüdischer Friedhöfe in Berlin, machte der Verband sie bis zum Beginn der 1960er Jahre öffentlich. SED, MfS und DVP waren bemüht solche unangenehmen Tatsachen entweder geheim zu halten oder sie verharmlosten die Schändungen als Ausdruck von „Rowdytum“ von Kindern oder Jugendlichen. Als 1983 auf dem jüdischen Friedhof von Erfurt Nazi-Symbole geschmiert und Grabsteine umgestürzt wurden, gab der Rat des Bezirkes Erfurt dem Gemeindevorsteher Herbert Ringer die Anweisung, dass „solange die Untersuchungen laufen, keinem anderen Personenkreis oder eventuell auftretenden Journalisten Auskünfte“ erteilt werden durften. Die Volkspolizei nahm dem Stellvertreter von Ringer, Raphael Scharf-Katz, den Film ab, auf dem die Schändungen dokumentiert waren. Als Ursachen der Friedhofsschändungen in Zittau und in Karl-Marx-Stadt wurden „heftige Windstöße“ und „grober Unfug“ durch Kinder verantwortlich gemacht.
Helmut Aris, Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden von 1962 bis 1987 und Vor-sitzender der Jüdischen Gemeinde in Dresden, kritisierte intern gegenüber Funktionären der SED, antisemitische Vorkommnisse in der DDR. Zu einer syrischen Ausstellung seien Broschüren mit antisemitischen Äußerungen verteilt worden. Es handelte es sich um eine Veröffentlichung: „Das Massaker von Kafr Kassem“, aus dem Verlag „Haus Palästina“ in Damas-kus, Syrien. Er attestierte ihnen, dass bei Schändungen jüdischer Friedhöfe sofort reagiert würde, wenn auch nicht mit akzeptablen Argumenten, wurden doch nach der Schändung eines jüdischen Friedhofes in Dresden, 3- bis 4-Jährige für die Schändung von Grabsteinen verantwortlich gemacht. Im September 1983 beschwerte sich Aris bei einem Gespräch im Staatssekretariat über Zeitungsartikel, weil dort antijüdische bzw. antisemitische Stimmungen in der DDR befördert wurden und er erwähnte auch die mehrfach stattgefundenen Schändungen jüdischer Gräber und Friedhöfe. Kurze Zeit später bat er beim Staatssekretariat um ein Gespräch, da im Fernsehen der DDR über die „zionistische Propagandalüge vom Terrorismus der PLO und über „Rassismus in Israel“ gehetzt worden war.
Auf Staatssekretariatsebene wurde 1975 erörtert, ob und wie zwei Vertreter der Juden in der DDR, Aris und Kirchner wurden genannt, zum Kongress der euro¬päi¬schen Ju¬den nach Lon-don reisen sollten. Die zuständigen Bearbeiter beim Staatssekretär für Kirchenfragen hatte erwogen, beide reisen zu lassen, jedoch mit der Auflage, sich weder als Delegierte noch als Beobachter nominieren zu lassen. Dazu wurde telefonisch mit dem sowjetischen Funktionär V. Titow, Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der Sowjetunion, die Situation beraten. Titow hatte sich dazu positiv geäußert, da er hoffte dadurch Informationen zu erhalten und da das SED-Mitglied Aris beteiligt sein sollte, hatte er nur mäßige Bedenken gegen eine Reisegenehmigung.
Anfang 1976 sprachen die Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen über „Eckpunkte sozialistischer Außenpolitik“; dabei wurden besonders das Verhältnis von Juden und jüdischen Organisationen zur DDR einerseits und zum Staat Israel andererseits thematisiert. Die Bereitschaft der SED-Funktionäre zu einem solchen Gespräch basierte selbstverständlich nicht auf einem öffentlichen, gesellschaftlichen Einfluss der jüdi-schen Gemeinden, sondern sie ergab sich aus der nationalsozialistischen Verfolgung und dem Holocaust. Die daraus resultierende „jüdische Frage“ sei nach 1945 erneut nur deshalb ent-standen, weil angeblich imperialistische Kreise im Westen die Diskriminierung der Juden in den „realsozialistischen" Staaten für ihre Zwecke „missbrauchten“. In der DDR hingegen würden Juden, wenn schon nicht als „Opfer des Faschismus“, so doch wenigstens als „Verfolgte des Nationalsozialismus“ anerkannt und einige Juden seien sogar Mitglieder der SED und empfänden die DDR als „ihren Staat“.
E. Gollomb, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig von 1967 bis zu seinem Tod 1988, war ehemals Gefangener im KZ Auschwitz und nach seiner Flucht Partisanenkämpfer, verteidigte das Recht der Juden immer und überall gegen jeglichen Antisemitismus aufzutreten, auch gegen den in der DDR. Funktionäre der SED bekämpften ihn besonders, weil er auch in Gesprächen mit Partnern aus dem Ausland seine politischen Ansichten äußerte. Weil er, er war nicht Mitglied der SED, die antizionistische bzw. antiisraelische Politik der DDR kritisierte wurde er bedroht, falls er seine Provokationen fortsetzen würde, wäre das mit „persönlichen Folgen“ für ihn verbunden. Nachdem weitere Debatten um die Ein-schätzung Israels und seiner Politik geführt worden waren, stellte E. Gollomb die rhetorische Frage, weshalb es jedem ehemaligen Nationalsozialisten ermöglicht werde, als Rentner in die BRD zu fahren. Er, ehemaliger Partisan und „Kämpfer gegen den Faschismus“, erhalte keine Erlaubnis seinen einzigen noch lebenden Bruder in Israel zu besuchen. Schließlich war er der Ansicht, dass auch bestimmte Deutsche aus der DDR als Touristen nach Ägypten fahren würden; ihm selbst war vom Auschwitz-Komitee eine solche Reise angeboten worden. Die SED-Funktionäre waren in diesem Gespräch zu dem Urteil gekommen, dass die Vertreter der Jüdischen Gemeinden ihre Argumente und Meinungen über den Zionismus ausschließlich auf emotionaler Basis aufbauten und deshalb wurden ihre Äußerungen als unwissenschaftlich abqualifiziert. Ihre emotionale Priorität hindere die jüdischen Leitungsvertreter daran, ihre Tätigkeit mit einer eindeutigen politischen Konzeption zu begründen. E. Gollomb wurde einer groben Kritik unterzogen, weil er durch seine erheblichen „zionistischen Tendenzen“ die Si-tuation immer wieder belaste und als besonders unangenehm wurde registriert, dass er auch in offiziellen Gesprächen mit Ausländern und in Leserbriefen klar seine Meinung vertrat.
1980 erhielt der Verband der Jüdischen Gemeinden eine Einladung zur 7. Vollversammlung des Jewish World Congress (JWC), die im Januar 1981 in Jerusalem abgehalten werden sollte. Daraufhin fragte Aris, Vorsitzender der Vereinigung der Jüdischen Gemeinden in der DDR, bei R. Bellmann, Staatssekretär für Kirchenfragen an, ob die Beteiligung einer Delegation für opportun gehalten werde. Bellmann teilte daraufhin der SED-Abteilung Internationale Verbindungen mit, dass eine Teilnahme einer Beobachtungsdelegation am Tagungsort Jerusalem aus politischen Gründen nicht möglich sei. Der stellvertretende Abteilungsleiter war ebenfalls der Ansicht, dass eine Teilnahme von jüdischen Vertretern aus der DDR in Jerusalem nicht möglich sei, weil der Aufenthalt von ostdeutschen Juden in Jerusalem einer Unterstützung der „israelischen Okkupationspolitik“ gleich kommen würde und eine indirekte Anerkennung Israels befürchtet wurde. Auch nicht durch bloße Anwesenheit dürfe der israelischen Politik „Vorschub“ geleistet werden. Schließlich stimmte auch Klaus Gysi, er war neuer Staatssekretär für Kirchenfragen geworden, diesem Verbot zu und die ostdeutschen Juden durften nicht nach Jerusalem reisen.
Bei einer Diskussion im Februar 1979 berichtete Peter Kirchner, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin von 1971 bis 1990, über Schändungen eines jüdischen Friedhofes. Die Täter waren gefasst worden, doch der zuständige Staatsanwalt von Berlin-Lichtenberg hatte ihm mitgeteilt, dass das Verfahren „wegen Geringfügigkeit“ wieder eingestellt worden war. Die Funktionäre in der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen und im Staatssekretariat für Kirchenfragen wollten sich nur noch dann um diese Gräberschändungen kümmern, wenn Kirchner in Zukunft damit aufhört, sich „politisch-negativ“ in der Öffentlichkeit zu äußern, d. h. er durfte antisemitische Vorfälle in der DDR nicht mehr erwähnen. In einer „Aussprache“ wurde ihm „Prinzipiell, aber in einer freundschaftlichen und freimütigen Form“ mitgeteilt, dass er sich vor öffentlichen Auftritten mit Vertretern des Staates und der Partei zu besprechen habe.
Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED stellte 1985 bei den acht jüdischen Ge-meinden nicht nur eine Überalterung fest, sondern auch das es immer weniger Juden in der DDR gab. Die Zahl der Aktiven in den Jüdischen Gemeinden der DDR wurde mit etwa 450 Personen angegeben, von denen etwa 240 in Berlin (DDR) lebten. Dazu gab es etwa 7.000 Deutsche mit jüdischer Herkunft, die als „Opfer des Faschismus“ registriert waren, die keinerlei Verbindungen zu den Jüdischen Gemeinden hatten: Das war das Verhalten, was die SED von ihren Mitgliedern mit jüdischem Familienhintergrund absolut verlangte.
Im April 1986 wurde von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen in einer Dokumentation zur Situation der jüdischen Gemeinden, der verlogene Antizionismus der SED sichtbar: „Der Kampf unserer Partei, das von Humanismus und Klassensolidarität geprägte Wesen ihrer Politik, kennt viele Beispiele, die deutlich machen, dass der feste Platz der Bürger jüdischen Glaubens in unserer sozialistischen Gesellschaft und die vertrauensvollen Beziehungen der Jüdischen Gemeinden zum sozialistischen Staat der Deutschen Demokratischen Republik ihre unter schwierigsten Bedingungen bewährte Vorgeschichte hat.“
Im August 1986 konstatierte das MfS nüchtern, dass die Jüdischen Gemeinden, außer in Berlin (DDR), nicht mehr „die Erhaltung und Pflege der jüdischen Tradition“ leisten könnten. Es wurde deshalb eine Konzentration der kulturpolitischen Zuwendungen nach Berlin (DDR) empfohlen: „Damit die sozialistische DDR entsprechend ihres antifaschistischen Charakters das Weiterbestehen von jüdischem Leben, die Erhaltung und Pflege sowie die Aufarbeitung ihres Anteils am gemeinsamen historischen und kulturellen Erbe für die Zukunft sichern kann, muß eine weiterreichende Unterstützung als bisher durch die Gesellschaft erfolgen.“
Mit den Gedenktagen zur 50. Wiederkehr der Pogromnacht Ende 1988 ebbte die offizielle antiisraelische Politik ab und in den Beschreibungen des Nahost-Konflikts wurden die Begriffe insofern ausgetauscht, als nun speziell nur noch vom „Terror“ gesprochen wurde. Der Konflikt im Nahen Osten war jedoch weiterhin wichtiger Teil der aktuellen Diskussionen, und der Schwerpunkt der Äußerungen galt nun eben dem „Terror der israelischen Okkupationstruppen gegen die Bevölkerung in den besetzten palästinensisch-arabischen Gebieten“.
In einem Offenen Brief des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR am 4. Novem-ber 1989, gerichtet an Mitglieder der Jüdischen Gemeinden und an die Abgeordneten der Volkskammer, hieß es: „Wir sind besorgt, wenn sich rechtsradikale und neonazistische Grup-pen bilden und die von ihnen ausgehende Gefahr in unserem Lande aus falsch verstandener Scham bagatellisiert. Antisemitische Vorfälle werden nicht dadurch ungeschehen, dass man ihre Spuren möglichst schnell beseitigt beziehungsweise Verhandlungen gegen gefasste Täter unter Ausschluss der Öffentlichkeit führt.“
Der Anteil antisemitischer Angriffe in der DDR liegt bei ca. 900 Vorfällen, davon betreffen ca. 145 Vorfalle Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gräbern.
Bei der Erforschung und Beschreibung Antisemitismus in der DDR müssen zwei Prämissen berücksichtigt werden: Erstens ist es notwendig den Begriff „Antizionismus“ historisch zu analysieren, um ihn von seiner Entstehungsgeschichte her bis zu seinem Gebrauch als Tar-nung für Antisemitismus verstehen und bewerten zu können. Um zweitens das Ausmaß und die Tiefe des Antisemitismus in der DDR, sowohl als gesellschaftliches und staatliches Phänomen voll umfänglich reflektieren zu können, ist es unumgänglich, den Neonazismus in der DDR wahrzunehmen. Auch in der SED-Diktatur bildeten Neonazis sowohl die Speerspitze als auch den Motor, für eine sich dynamische entwickelnde rechte Bewegung, die sich gegen die Existenz der kommunistischen Herrschaft richtete. Die Anzahl der belegten neonazistischen Angriffe (etwa 7.000) im Verhältnis zu den belegten antisemitischen Ereig-nissen (etwa 900) bewegen sich in einer 5- bis 10-fach höheren Potenz.
Der Krieg gegen die Juden, den die Nazis 1933 einläuteten, ist seitdem ununterbrochen wei-tergegangen ist. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ tauchten unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges wieder auf und heizten seither die fortgesetzten Versuche an, im Nahen Osten das zu vollenden, was den Nazis in Europa um ein Haar gelungen wäre. Die sowjeti-schen, arabischen und islamischen Kampagnen gegen Israel und die Juden sind Bestandteil eines vielschichtigen Kontinuums von Hasspropaganda, die nunmehr über Jahrzehnte ununter-brochen abläuft. Der Antisemitismus wurde dadurch, dass er von der Sowjetunion bis zu ih-rem Untergang und von der islami¬schen Welt bis in die Gegenwart gefördert und verbreitet wird, nicht harmlos. Die früher sowjetische und jetzt linksradikale, islamische und arabische Propa¬ganda ist im Wesentlichen nach dem Muster der „Protokolle“ gestrickt, mit der die Exis-tenz einer internationalen Verschwörung, die ihr politisches Zentrum in Israel und ihr Hinterland in der Diaspora hätte, behauptet wird.
Heute noch wird unter dem Schlagwort „Antizionismus“ Politik und Propaganda betrieben und es sollte sich niemand von dieser verbalen Neuerung darüber hinwegtäuschen lassen, was wirklich dahin¬tersteckt. Der Grund für die Maskierung ihres Antisemitismus liegt auf der Hand, weil durch die Massenmorde der Nazis die unverhohlene Feindschaft gegen Juden als rassische, religiöse oder ethnische Gruppe für den allergrößten Teil der westlichen Öffentlichkeit unakzeptabel geworden ist, sieht man einmal von den unverbesserlichen und unbelehrbaren alten und neuen Nazis ab. In der Folge hielten die kommunistischen, arabischen, islamischen und auch die neonazistischen Antisemiten, zur Rechtfertigung ihres neuen Ziels – der Beseitigung eines souveränen jüdischen Gemeinwesens – nach anderen intellektuellen Bezugsgrößen und Ausdrucksweisen Ausschau. Sie setzten Antizionismus an die Stelle von Antisemi¬tismus, der selbst vor etwa hundert Jahren als politischer Kampfbegriff an die Stelle von „Judenhass“, „Judenfeindschaft“ oder „Antijudaismus“ getreten war. Der Antisemitismus von heute musste sich als seine eigene ideologische Antithese maskieren – als Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus –, wollte er je wieder politisch wirksam werden. Wir haben es also mit dem Paradoxon eines Antisemitismus zu tun, der beständig beteuert, er richte sich nicht gegen die Juden als solche.
Der sowjetische Antizionismus hat, die von der radikalen Rechten des alten zaristischen Russ-lands kreierte Mythologie der „Protokolle“ mit dem Vokabular des Marxismus-Leninismus verbunden und aus diesem seltsamen Kreuzungsprodukt ist ein neuer Judenhass hervorgegan-gen, der sich als bedeutsames Element der sowjetischen Innen- und Außenpolitik etabliert hatte. Im zaristischen Russland, das im 19. Jahrhundert das klassische Land der Judenverfolgung war, wurde der Welt das hässliche Wort „Pogrom“ geschenkt. Dessen Geheimpolizei setzte als erste den Mythos der „internationalen jüdischen Verschwörung“ in die Welt, die ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Zentrum des sogenannten Kampfes gegen den „Weltzionismus“ geworden war.
Der kommunistische Antizionismus war und ist ein Ausdruck des politisch rationalisierten Antijudaismus und steht gleichzeitig für die Verbrämung der über lange Zeiträume hinweg tradierten antijüdischen bzw. ab den 1950er Jahren antiisraelischen Einstellungen. Die deut-schen Kommunisten hatten sich, spätestens seit Mitte der 1920er Jahre, dem absoluten Füh-rungsanspruch des EKKI bzw. der Partei der Russischen Bolschewisten, in der Person von Josef Stalin, Generalsekretär des Zentralkomitees, freiwillig unterworfen, d. h. die KPD wurde in ihren wesentlichen Zügen von der KPdSU geführt. Die Führungspersonen der KPD bzw. SED, z. B. Honecker, Mielke, Wollweber oder auch Zaisser wurden vor und nach 1945 an der „Lenin-Schule“ oder anderen Bildungsstätten geschult bzw. waren dort als Lehrer tätig.
In das antisemitisch aufgeladene politische Klima in der Sowjetunion wurde zum ersten Mal das pseudo-theoretische Konstrukt des „Antizionismus“ eingesetzt, dass den Staat Israel als Ausdruck der Machenschaften von US-Geheimdiensten denunzierte. Bis dahin hatte die Sow-jetunion die Gründung des Staates Israel wohlwollend begrüßt und, über den Umweg Tsche-choslowakei, „deutsche oder tschechische Beutewaffen“ an die Juden in Palästina verkauft. Am 9. Februar 1953 „warf ein Fanatiker eine Bombe auf das Territorium der Sowjetbotschaft“ in Tel Aviv, was die Sowjetunion zum Anlass nahm, um die diplomatischen Beziehungen zu Israel abzubrechen und erst nach dem Tod Stalins, im Juli 1953, wurden sie wieder aufgenommen. Am letzten Tag des „Sechstagekrieges“, am 10. Juni 1967, brach die Sowjetunion, und in ihrem Gefolge auch die anderen Staaten des Warschauer Paktes, mit Ausnahme von Rumänien, die diplomatischen Beziehungen mit Israel ab.
In den 1930er Jahren wurde noch nicht das Bild einer „jüdischen Verschwörung“ skizziert, aber jüdische Kommunisten wurden beschuldigt, an „jüdischen Verschwörungen“ teilgenommen zu haben; so musste das Feindbild von den „illoyalen“ Juden nach 1945 nicht erst erfunden werden, denn dieses antisemitische Potential war schon seit 1936, mit der Hetze gegen das „trotzkistisch-sinowjetische“ Terrorzentrum vorhanden.
Aber auch in anderen von der Sowjetunion kontrollierten Staaten wurden Ende der 1940er bzw. Anfang der 1950er Jahre Jüdinnen und Juden juristisch und politisch diskriminiert und angegriffen: Ana Pauker, eine rumänische Kommunistin mit jüdischer Herkunft, sie war von 1947 bis 1952 Außenministerin Rumäniens, wurde 1952 Opfer einer antisemitischen Säuberung in der KP Rumäniens. In Prag wurde 1952 gegen Rudolf Slánský, Jude und ehemaliger Generalsekretär der tschechoslowakischen KP, und 13 andere, meist jüdische, kommunistische Parteifunktionäre ein Schauprozess inszeniert und elf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und am 3. Dezember 1952 gehängt wurden. Ihre Leichname wurden verbrannt und die Asche wurde von Mitarbeitern der Staatssicherheit auf einem Feld außerhalb Prags verstreut. Eine der Besonderheiten dieser Justizfarce, die von Anfang bis Ende von den sowjetischen Beratern der politischen Polizei inszeniert worden war, war ihr offen antisemitischer Charakter. Elf der 14 Angeklagten waren Juden, und ihnen warf man vor, eine „trotzkistisch-titoistisch-zionistischen Terrorgruppe“ gegründet zu haben. Im September 1963 wurde Slánský juristisch rehabilitiert und 1968 erfolgte seine politische Rehabilitation durch die KP der CSSR. Die antisemitischen Kampagnen, die stalinistischen „Säuberungen“ und Prozesse in Osteuropa, erreichten auch Ungarn, als im Sep¬tember 1949 in Budapest der „Rajk-Prozess“ veranstaltete worden war. Dies war ein Prozess gegen den ehemaligen Spanienkämpfer und Innen- und Außenminister Laslo Rajk u. a., bei dem insgesamt fünf Angeklagte zum Tode verurteilt und drei weitere zu lebenslangen bzw. zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Rajk wurde am 27. März 1956 vom obersten Gericht Ungarns rehabilitiert und die Leichen der Hingerichteten, sie waren in einem Wald bei Budapest verscharrt worden, wurden exhumiert und am 6. Oktober 1956 ordentlich auf dem Zentralfriedhof, im Beisein einer großen Menschenmenge, beerdigt. Mit dem Prozess gegen L. Rajk wurden auch die Auswirkungen der antisemitischen Welle in der DDR sichtbar,
Antisemitischer Antizionismus nach Innen und Außen der SED
Das Politbüro der SED beschäftigte sich im Februar 1949 mit antisemitischen Stimmungen in Berlin (DDR) und in der Partei und im November 1949 begannen die „Säuberungsaktionen der Zentralen Parteikontrollkommission“. Der Beschluss des ZK der SED vom 20. Dezember 1952, in dem für die DDR „Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ gezogen werden sollten, beinhaltete die Darstellung einer angeblichen „Spionage- und Diversanten Tätigkeit mit Hilfe zionistischer Organisationen“ und P. Merker wurde beschuldigt, die ostdeutsche Filiale dieser internationalen „Verschwörung“ geleitet zu haben. Besonders Emig-ranten die aus dem Westen zurückgekehrt waren, wie Merker und Franz Dahlem, waren im Visier der antisemitischen Angriffe. Merker war in der KPD Mitglied im Zentralkomitee und im Politbüro gewesen und er hatte in der SED die gleichen Funktionen inne. Er war der Einzige führende kommunistische Funktionär, der die „jüdische Frage“ in Schriften und Reden bereits in der Emigration in Mexiko thematisiert hatte und der sich nicht nur für Entschädigungen der von den Nazis verfolgten Juden einsetzte, sondern er forderte auch, die Gründung eines jüdischen Staates zu unterstützen und plädierte für eine Anerkennung der Juden als nationale Minderheit in Deutschland. Im Gegensatz zu den Texten und Reden von W. Ul-bricht und W. Pieck, die sie im Moskauer Exil äußerten, war für Merker der Rassenwahn der Nazis der Kern seiner Faschismusanalyse. Dadurch geriet er im August 1950 in Konflikt mit dem antisemitischen Antizionismus, wurde 1950 aus der SED ausgeschlossen und im 30. November 1952 verhaftet. Ihm und anderen Kommunisten war vorgeworfen worden, sie hätten Spionage für den US-Geheimdienst betrieben. Tatsächlich hatte Merker, zusammen mit Leo Zuckermann, ein „Wiedergutmachungsgesetz“ auf den Weg gebracht, dass jedoch nie beschlossen wurde. Bei den „Säuberungen“ wurden bis 1953 insgesamt etwa 150.000 Mitglieder aus der SED ausgeschlossen und dabei wurden auch jüdische Journalisten der elektronischen Medien sowie der Printmedien, wie Willi Kreikemeyer, Leo Bauer, Bruno Goldhammer, Lex Ende, Wolfgang Langhoff und Leo Zuckermann mit der Begrün¬ung ausgeschlossen, sie hätten mit Noel H. Field in Verbindung gestanden. Merker hatte Field während der Emigration kennengelernt, als der ihm 1942 bei seiner Flucht geholfen hatte. Nach dem antisemitischen Slansky-Prozess im Dezember 1952 in Prag, hatte das ZK der SED am 14. Mai 1953 Merker als „Agent“, als „Kapitulant“ und als „Verräter“ bezeichnet. Er wurde als Staatssekretär degradiert und leitete danach eine HO-Gaststätte in Luckenwalde, südwestlich von Berlin. P. Merker wurde am 30. November 1952, als einer der prominenteren Fälle, vom MfS festge-nommen. Seinen Vernehmungen wurden „im Zimmer 28“ von einem Deutschen und einem Sowjetbürger durchgeführt. Durch Überlieferung der Aufzeichnungen eines „Zellenspitzels“ wissen wir, „weitgehend authentisch“, wie es dem tapferen P. Merker in der Haft ergangen ist: „Dabei sind Schimpfworte an der Tagesordnung. Ich bin mit Erschießen, 15 Jahren Zuchthaus und allem Möglichen bedroht worden. Als ich zu beiden Vernehmern mehrmals sagte, dass der Tod für mich eine Erlösung ist und ich mich nicht fürchte, drohten sie mir meine Familie ebenfalls zu vernichten. Das geht nun schon sieben Wochen so und jeden Tag wiederholt sich das Gleiche“. Nach zwei Jahren Untersuchungshaft in der Untersuchungs-haftanstalt des MfS in Berlin-Hohenschönhausen, wurde er im März 1955 vor dem 1. Straf-senat des Obersten Gerichts der DDR angeklagt und am 30. März zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die er im Zuchthaus Brandenburg verbringen musste. Als Beweisgründe für den Schuldspruch werteten die Richter Merkers Eintreten für die „ausnahmslose Entschädigung aller aus Deutschland emigrierten Juden ... und für das Recht der nach Deutschland zurück-kehrenden Juden auf Anerkennung als nationale Minderheit und die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates“. Seinen verschiedenen Stellungnahmen hatten die Behörden entnom-men, dass er die Rassentheorie und die Verfolgung der Juden zum Kern seiner Analyse des deutschen Faschismus erhoben hatte. Am 27. Januar 1956 wurde Merker aus der Haft entlassen und ab Mai 1956 war er wieder Mitglied der SED. In einer geheimen Verhandlung wurde Merker im Juli 1956 von demselben Gericht rehabilitiert, das ihn verurteilt hatte. Er war nun juristisch, aber nicht politisch rehabilitiert und kurz vor seinem Tod, Paul Merker war physisch und psychisch „gebrochen“, wurde ihm postum von der Regierung der DDR der „Vater-ländische Verdienstorden“ in Gold verliehen. Seine Frau Margarete war Anfang Juni 1953 aus der SED ausgeschlossen worden und der Status als „Verfolgte des Naziregimes“ (VdN) wurde ihr aberkannt, was nur als Ausdruck von „Sippenhaftung“ zu verstehen ist. Merker wurde vorgeworfen, er hätte Spionage für den Geheimdienst der USA betrieben. Bei den Prozessen wurde eine angebliche „titoistische“ Verschwö¬rung postuliert, in deren Mittelpunkt der US-Amerikaner Noel Field gestellt wurde, der in die CSSR eingeladen worden war, dort festge-nommen wurde und nach Ungarn gebracht, wo er in einem Geheimgefängnis der Geheimpoli-zei (AVH) bis 1954 inhaftiert worden war.
Der Flucht von so vielen Juden in den Westen waren mas¬sive staatliche Angriffe auf jüdische Personen vorausgegangen, denen vorgeworfen wurde, Kontakte zu westlichen Hilfsorganisati-onen aufgenommen zu haben. Bereits Verbindungen zur jüdischen Hilfsorganisation „Joint“ und der Empfang von „Care“-Paketen hatten zu repressiven politischen und polizeilichen Attacken auf Juden und ihre Organisationen geführt, wobei diese Hilfsorganisationen als „imperialistische Agentenorganisationen“ denunziert wurden. Unter den Geflüchteten befanden sich Julius Meyer, Präsident der Jüdischen Gemeinden, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer, der begleitet von Familienangehörigen, nach Berlin (West) geflüchtet war. Ebenso flüchtete Leo Zuckermann, er war im Exil mit P. Merker Mitglied der „Bewegung Freies Deutschland“ und später Staatssekretär in der Kanzlei von Staatspräsident Wilhelm Pieck. Leo Löwenkopf, er war Widerstandkämpfer, Häftling in den Konzentrationslagern Majdanek, Auschwitz und Sachsenhausen, Mitglied der SED und Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Dresden, flüchtete ebenfalls. Die Flucht von etwa 550 Juden nach Berlin (West) hatte umfangreiche Durchsuchungen und Verhöre durch die Kriminal- und Volkspolizei und den Staatssicherheitsdienst zur Folge. Wohnungen wurden nach „staatsfeindlichem“ Material durchsucht, während sich die Bewohner beim Verhör bei der Volkspolizei befanden. In mehreren Fällen wurden Korrespondenzen, Akten und auch Personalausweise beschlagnahmt. Der im Ort Kleinmachnow, südlich von Berlin, lebende Julius Meyer, Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR, Mitglied der SED und Abgeordneter der Volkskammer wurde Ende 1952, Anfang 1953 massiven antisemitischen Repressionen unter-zogen und begleitet von mehreren Familienangehörigen flüchtete er im Januar 1953 in den Westen. Mit ihm flüchteten sechs von sieben Gemeindevorstehern – Helmut Salo Looser, (Leipzig), Leon Löwenkopf (Dresden), Günter Singer (Erfurt), Horst Karliner (Magdeburg), Leon Zamorje (Halle) und Walter Kappel (Eisenach). Zu den Flüchtlingen gehörten Fritz Grunsfeld und Leo Eisenstadt, Vize-Präsident und der Generalsekretär des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Auslöser dieser Flucht war die Verhaftung von P. Merker, wobei die Verhaftungen am 21./22. November von Paul Baender, ehemaliger Staats-sekretär, und von Hans-Heinrich Schrecker, Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“ am 24. November 1952, vorausgegangen waren. Unter den Flüchtlingen befand sich auch Heinz Freund, Kammergerichtspräsident in Berlin und Heinz Fried, Direktor der Wasserwerke in Berlin. Alle Insassen des Jüdischen Kinderheims in Berlin-Niederschönhausen fuhren zu-sammen mit den Erzieherinnen mit der Straßen¬bahn über die Sektorengrenze.
Eine Abteilung P6 („Judenreferat“) des Staatssicherheitsdiensts plante in Frankfurt/O. mehrere Zeltlager, die von Stacheldraht umzäunt sein sollten, doch das war dann nicht mehr nötig. Ein Ergebnis der antisemitischen „Säuberungen“ des MfS von 1952/53 ergab 912 jüdische Haushalte und weitere 1.098 Familien, deren Vorstand „aus einer Mischehe“ stammte.
Zwei Tage nach dem Artikel in der „Prawda“ wegen der „ärztlichen Saboteure“ zog das Sek-reta¬riat des ZK der SED am 15. Januar 1953, unter der Leitung von W. Ulbricht, die „Lehren aus der Aufdeckung der terroristischen Tätigkeit einer Ärztegruppe in der Sowjetunion“ und eine Maßnahme sollte die Bildung einer Kommission sein, die aus Mitgliedern der SED, dem Staatssicherheitsdienst (SSD) und vertrauenswürdigen Ärzten bestand, die Untersuchungen im Regierungskrankenhaus und in Krankenhäusern der Volkspolizei und des Ministeriums für Gesundheitswesen durchführte. Während der gleichen Sekretariatssitzung wurde auch die Zeitschrift „Der Weg“ der Jüdischen Gemeinde Berlin, deren Herausgeber seit 1946 Heinz Galinski war, verboten. Zusätz¬lich wurde die ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung beauftragt die „Leitung der Jüdischen Ge¬meinde zu überprüfen“ und etwaige Vorschläge dazu zu erarbeiten.
Für die SED-Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom 21. Januar 1953 war die Flucht „Einge-ständnis und Beweis dafür, dass sie seit langem als zionistische Agenten mit Westberliner Auftraggebern paktiert und zusammengearbeitet haben“. Damit wären sie „in den Schoß der Organisationen der faschistischen Massenvernichtungslager von Auschwitz, Maidanek und Treblinka“ geflüchtet.
In den Jahren danach nahm die SED immer wieder Einfluss auf die Besetzung von Führungs-positionen der Jüdischen Gemeinden. Um diese politische Kontrolle zu realisieren, bediente man sich Mitte der 1950er Jahre auch antisemitischer Vorurteile, die darauf abzielen sollten Hermann Baden, als Person und in seinen Funktionen als Vorsitzender des Verbandes der Jüdischen Gemeinden und Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Halle, zu desavouieren. Das Ziel war seine Absetzung und dafür waren sich die Offiziere des MfS auch nicht zu schade und bedienten sich auch antisemitischer Vorurteile. Auf jeden Fall, so der Bericht wörtlich, sei „Baden zu isolieren“ um einen Vorstand zu bekom¬men der „im positiven Sinne unserer Gesell-schaftsordnung“ arbeitet.
Um Einfluss auf die Jüdischen Gemeinden nehmen zu können war der Verband der jüdischen Gemeinden offiziell nicht nur als Religionsgemeinschaft, sondern auch ausdrücklich als „po-litische Organisation“ eingestuft. Durch diese Zwangspolitisierung begründete die SED ihren Anspruch auf ihre Mitwirkung bei der Besetzung von Führungspositionen in den Jüdischen Gemeinden. Weil einige Vorsitzende der jüdischen Gemeinden wegen Alters und Krankheit zurücktreten mussten, wurden in der SED Überlegungen angestellt, wie, mit wem, diese frei werdenden Posten neu besetzt werden könnten. Weil an diese, für die Funktionäre primär als politische Ämter verstandenen Posten auch internationale Beziehungen gebunden waren, musste der neue Vorsitzende des Verbandes auf jeden Fall ein „Genosse“, d. h. Mitglied der SED sein. Zusätzlich legitimiert wurde diese Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden mit der Begründung, der Staat stelle „jährlich erhebliche finanzielle Mittel“ zur Verfügung für die Begleichung von Verwaltungskosten, Veranstaltungen sowie für die Pflege und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe. Außerdem, so die paternalistische Rhetorik, werde der Synagogalchor in Leipzig finanziell unterstützt, obwohl der überwiegende Teil der Sänger keine Juden seien bzw. keine jüdische Herkunft hätten. In Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Kultur sollte dem Verband der jüdischen Gemeinden sein Weiterbestehen auch deshalb garantiert werden, weil die Pflege des „jüdischen Kulturguts“ auch ein bedeutendes Gewicht darstelle für die Interessen der Außenpolitik der DDR. Die Entwicklung einer Politik des antisemitischen Antizionismus gegen Israel und für die Palästinenser und arabischen Staaten, hat hier in der DDR ihren Anfang.
Antifaschismus und Entnazifizierung
Am 30. April 1945 war, als ein Teil der übrig gebliebenen Exil-Führung der KPD, die „Grup¬pe Ulbricht“, aus Moskau nach Deutschland zurückgekehrt, um das öffentliche Leben in Berlin und die Gründung von Parteien, Gewerkschaften und Institutionen zu organisieren. Die Existenz die¬ser Gruppe wurde in der DDR bis 1955 verschwiegen, wahrscheinlich um den Einfluss der aus dem Moskauer Exil zu¬rückgekehrten Funktionäre der KPD vor den Au¬gen der Öffent¬lichkeit zu verschleiern. Dane¬ben gab es noch zwei „Regionalgruppen“, in Sachsen unter der Leitung von Anton Acker¬mann und in Mecklenburg-Vorpommern war Gustav Sobottka der Leiter. Auf Veranlassungen von W. Ulbricht kamen im Juni 1945 in die SBZ etwa 70 deut¬sche Kommunisten und 300 ehemalige kriegsgefangene Soldaten der Nazi-Wehrmacht, die in der Sowjetunion „Antifa-Schulen“ durchlaufen hatten.
Als eine der ersten Maßnahmen wurden die nach der Niederlage Deutschlands spontan gebil-deten und autonom agie¬renden antifaschistischen Komitees an der Basis der Gesellschaft auf-gelöst. In einem Brief vom 9. Mai 1945 teilte W. Ulbricht dem stellvertretenden Abteilungs-leiter beim ZK der KPdSU, G. Dimitroff mit: „Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung ‚Freies Deutschland’ und die Ausschüsse der Leute des 20. Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben diese Büros geschlossen und den Genossen klargemacht, dass jetzt alle Kräfte auf die Arbeit in den Stadt-verwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüsse müssen ebenfalls zur Arbeit in die Stadtverwaltungen übergeführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden“.
Ulbricht legte gleichzeitig Wert darauf, Dimitroff Namen von Personen vorzuschlagen, die am Aufbau der Verwaltungen beteiligt werden sollten. Neben einigen altgedienten Mitgliedern und Funktionären der KPD schlug er Prominente vor, wie den Schauspieler Heinz Rühmann und den Chirurg Prof. Ferdinand Sauerbruch, die beide den Nazis bis zum Schluss gefolgt waren. Hier wird im Kern die Ein¬sicht der Führung der KPD sichtbar, dass der Aufbau gesellschaftlicher bzw. staatlicher Strukturen nur mit und schon gar nicht gegen die Masse der Nazis und ihrer Mitläufer mög¬lich sein würde. Der antifaschistische Anspruch der KPD fand auf diesem machtpolitischen Feld seine Grenzen und wurde ab diesem Moment zu einer ide-ologischen Waffe, mit der die eigene mangelnde Aufarbeitung des Nazismus auf die Situation in Westdeutschland bzw. BRD projiziert werden konnte.
Ein besonderes Augenmerk fällt auf Ulbrichts Vorschlag, Paul Markgraf, er kam als „antifa-schistischer Kriegsgefangener“ mit der Gruppe Ulbricht nach Deutschland, als „Oberst“ zum Po¬lizeipräsident von Berlin (1945 bis 26. Juli 1948) bzw. von Berlin-Ost (1948 bis 1949) zu er-nennen. Markgraf war ab 1931 Berufssoldat bei der Reichswehr und nahm als Offizier am Zweiten Weltkrieg teil, wo er mit dem „Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz“ ausgezeichnet wor-den war. Bei der Schlacht um Stalingrad kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wurde Mitglied im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD), war Gründungsmitglied des „Bundes Deutscher Offiziere“ (BDO) und er besuchte eine antifaschistische Schule. 1946 wurde Markgraf Mitglied der SED. Von 1951 bis 1971 war er Offizier des Ministeriums für Staatssi¬cherheit (MfS) und Stabschef des Wachregimentes des MfS.
Bei einer Diskussion, wie die Berliner Bezirke neu zu verwalten wären, erklärte W. Ulbricht: „Der erste stellvertretende Bürgermeister, der Dezernent für Personalfragen und der Dezernent für Volksbildung – das müssen unsere Leute sein. Dann müsst ihr noch einen ganz zu-verlässigen Genossen in jedem Bezirk ausfindig machen, den wir für den Aufbau der Polizei brauchen. […] Es ist doch ganz klar: es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Diese Aussage hatte programmatischen Charakter für die Gründung der „Deutschen Demokratischen Republik“, an der der Name „Demokratisch“ das einzig demokratische war, denn hinter diesem Label war alles real, nur keine demokratischen Verhältnisse. Die deutschen Kommunisten hatten als SED bereits ihre historischen Lektionen durch Lenin und Stalin insoweit verstanden, als sie sich längst mit bolschewistischen, sprich autoritären, zentralistischen und militaristischen Strukturen und Inhalten identifiziert hatten. Ausblicke auf individuelle und kollektive emanzipatorische Perspektiven, demokratischer, sozialistischer und humanistischer Provenienz, waren nicht existent. Die DDR war eine Diktatur von Linken, die basis-demokratische Realitäten in etwa so fürchteten, wie der Teufel das Weihwasser.
Kurz vor der Gründung der DDR, im Juni 1948, erklärte W. Ulbricht in einem Zeitungsinterview: „Wir haben heute in der Sowjetischen Besatzungszone nicht wenige frühere aktive Nazis, die eine verantwortliche Arbeit leisten. Jedenfalls können sie bestimmte Leistungen aufweisen, was man von einigen Mitgliedern der Christlich-Demokratischen Union und Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands nicht sagen kann, die nach Washington und London schielen.“ Im November 1952 verkündete die SED-Tageszeitung „Neues Deutschland: „Hier wurden nicht nur die Wurzeln des Faschismus und Antisemitismus vernichtet, sondern auch gleichzeitig alle Versuche zur ihrer Wiederbelebung in der Verfassung unter schwerste Strafe gestellt.“
Dennoch ist Antisemitismus auf einer gesellschaftlichen als auch auf einer staatlichen Ebene und sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik der DDR sichtbar geworden. Die Bedeutung der zeithistorischen Studie zur Diskussion um den Antisemitismus in der DDR liegt in der Offenlegung der Fakten zum Antisemitismus im Land selbst und der Sichtbarmac-hung der dialektischen Beziehung zwischen diesen antisemitischen Potentialen in der Gesell-schaft und der antizionistischen Außenpolitik. Als alles dominierende Staatspartei trug die SED die Verantwortung für die Entwicklung sublimer antisemitischer Potentiale, nicht nur durch ihre Außenpolitik gegenüber dem Staat Israel, sondern auch durch ihre Politik gegen-über den Juden in der DDR. In Anbetracht der wenigen dort verbliebenen und offiziell gemel-deten Jüdinnen und Juden, es gab so gut wie keine jüdische Bevölkerung, kann man von einem Antisemitismus sprechen, der ohne Juden auskam. Im Besonderen ging es in der DDR seit 1948 vorrangig auch darum, die politische und soziale Rehabilitierung ehemaliger Nazis durchzusetzen.
Die Lage der Juden und der Jüdischen Gemeinden in der DDR wurde weitgehend bestimmt durch Maßnahmen der alles beherrschenden SED und so beschäftigte sich im Februar 1949 das Politbüro der SED mit den in Berlin und in der Partei grassierenden antisemitischen Stimmungen und im November begannen dann die „Säuberungsaktionen“ der „Zentralen Par-teikontrollkommission“ (ZPKK). In Sachsen wurde in den Akten nach „jüdischer und jüdisch-bürgerlicher Herkunft“ unterschieden, obwohl von E. Mielke offiziell angeordnet, nach „kleinbürgerlichen Feiglingen“ gefahndet werden sollte. Davon waren in der Regel ehemalige Emigranten betroffen, die aus dem Westen in die SBZ bzw. DDR zurückgekehrt waren. Im Januar 1952 hatte die sowjetische Besatzungsmacht die Parteiführung der SED aufgefordert alle Juden in einer speziellen Kartei zu registrieren und im Juli 1952 wurde das gesamte jüdi-sche Eigentum aufgehoben und in Volkseigentum überführt.
Infiltration und Zersetzung der Jüdischen Gemeinden
Im Gegensatz zum Partei- und Staatsapparat, kontrollierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) über seine Kirchenabteilung V / 4, ab 1964 XX / 4, sie war der Hauptabteilung „Politi-sche Untergrundtätigkeit“ zugeordnet, die Jüdischen Gemeinden überwiegend konspirativ. Grundlage dieser Tätigkeiten war die bis 1989 anhaltende, generelle Identifizierung von Juden mit dem Feindbild des Zionismus, wobei sich die Offiziere des MfS zur Informations-gewinnung zu einzelnen Personen auch Material der Geheimen Staatspolizei der Nazis heran-zogen. Im Jahr 1955 wurde ein republikweiter „Objektivvorgang“ angelegt, der die Gemeinden als „sicherheitsrelevanten Bereich“ einstufte und damit konnten die Bezirks- und Kreis-dienststellen des MfS Überwachungsmaßnahmen durchführen, wie Post- und Telefonüberwachung und Zeitschriften mit hebräischen Schriftzeichen oder Briefe internationaler jüdischer Organisationen wurden konfisziert. Die HA XX / 4 kontrollierte alle Aktivitäten die Jüdischen Gemeinden und der mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge, gleich ob sie offiziell oder geheim durchgeführt worden sind.
Auch auf das Staatssekretariat für Kirchenfragen nahm das MfS vielfältigen, offenen und ver-deckten Einfluss, was daran ersichtlich wird, dass die Staatssekretäre, z. B. Klaus Gysi, sein Stellvertreter Hermann Kalb und sein Nachfolger Kurt Löffler als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) die Gewähr dafür boten, „dass die Zusammenarbeit mit dem MfS auch von Seiten der Leitung des Staatssekretariats abgesichert war“. Andere Mitarbeiter des Staatssekretariats waren als Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) für das MfS tätig, so der Hauptabteilungsleiter Peter Heinrich, sein Referent Eckhard Stephan und Peter Arndt aus der Abteilung Rechts- und Grundsatzfragen. Der Leiter der Abteilung „Evangelische Kirche und Kleine Reli-gionsgemeinschaften“, Hans Wilke, von 1958 bis 1990 im Staatssekretariat beschäftigt, war seit 1954 unter dem Decknamen „Horst“ als IM tätig und weil ihn seine Vorgesetzten als zu-verlässig einstuften, stieg er in die höchste IM-Kategorie auf, zum „Inoffiziellen Mitarbeiter mit Feindberührung“ (IMB). Alle wesentlichen mündlichen und schriftlichen Vorgänge des Staatssekretariats übermittelte er der HA XX / 4 und nahm so in der „politischen Steuerung und geheimdienstlichen Kontrolle der jüdischen Gemeinden“ eine Schlüsselstellung ein.
Zur besseren Informationsbeschaffung und zur Verhinderung der unterstellten „Feindtätigkeit“, sollten die „reaktionären Kreise (Zionisten) innerhalb der Gemeinden und deren Orga-nisationen“ durch die Tätigkeiten von Agenten als „Geheimer Informator“ (GI) bzw. „Geheimer Mitarbeiter“ (GM) „entlarvt“ werden. So wurden mehrere Mitglieder der Berliner Gemeinde zu Inoffiziellen Mitarbeitern wie Willy Bendit als IM „Alfred“, Heinz Schenk als IM „Heinz, Hans Levy als IM „Ludwig“, Israel Rothmann, Siegfried Wexberg und Dr. Ödön Singer als IM „Dr.“. Nach dem Tod von Heinz Schenk übernahm 1971 Dr. med. Peter Kirchner den Vorsitz der Gemeinde und 1977 wurde er als IM „Burg“ im MfS aufgenommen und Ende 1980 in die höchste Kategorie als „Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindver-bindung“ (IMB) befördert. Kirchner wie E. Gollomb waren ab jener Zeit die einzigen Gemeindevorsteher gewesen, die nicht der SED angehörten.
Das Vorstandsmitglied Dr. habil. Werner S. Zarrach war in den 1970er und 1980er Jahren als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das MfS tätig. Bevor er in die DDR kam arbeitete er in Polen für den dortigen Sicherheitsdienst. Er ließ sich im Juni 1963 von der Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder (BVfS) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Rainer Buch“ anwerben und „bis 1969 stellte er der Staatssicherheit seine Wohnung als konspirativen Treffpunkt zur Verfügung und er berichtete aus seinem persönlichen und beruflichen Umfeld“. In Berlin (DDR) lebend, ließ er sich 1971 von der HA XX/1 als IMS „Gerd Steinberg“ erneut anwerben und arbeitete dann bis zum Oktober 1989 für das MfS. Seine Berichte füllten in der Behörde vier Bände, in denen sich auch zahlreiche Informationen über die Jüdische Gemeinde in Berlin (DDR) befan-den, deren Vorstand er ab 1972 angehörte. Seine Tätigkeit wurde u. a. mehrfach mit Prämien, mit der Verdienstmedaille der NVA in Bronze (1975) und in Silber (1981) sowie mit Sachgeschenken belohnt. Übersetzungsarbeiten polnisch/deutsch, die er für das MfS an¬fertigte, wur-den mit mehreren tausend Mark vergütet. Ein weiteres Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Berlin (DDR), Dr. Irene Runge, arbeitete „von 1962 bis 1966 und von 1971 bis 1985 als IMS „Stefan“ für die HA XX/7 (Politische Untergrundtätigkeit in Kunst und Kultur) des MfS. Runge war seit 1983 im Vorstand tä¬tig und verdiente sich durch Bespitzelung von Bekannten und Freunden mehrere tausend Mark“.
H. Aris Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, später Verbandspräsi¬dent, arbeitete von März 1954 bis zum Juli 1956 unter dem Decknamen „Lanus“ als „Geheimer In-formator“ für das MfS. Er berichtete dem Staatssekretariat und dem Referenten für Kirchen-fragen in Dresden ausführlich über innere Angelegenheiten der Gemeinden und des Verban-des und befolgte die politischen Vorgaben. Im April 1989 wurde Dr. P. Fischer als Sekretär des Verbandes der Jüdischen Gemeinden und als Leiter der neueingerichteten Berliner Ge-schäftsstelle angestellt. Er arbeitete von 1969 bis 1974 als IM „René“ für die HA II Spionage-abwehr. Von 1987 bis Dezember 1989 spitzelte er als IMS („Frank“) aus „politisch-ideologi-scher Überzeugung“ für das MfS. Noch im August 1989 unterwarf er sich der Diktion der SED und erklärte sich gegenüber dem MfS als ein Mann „ohne“ Glaubensbekenntnis. 1990 wurde er Leiter der Berliner Außenstelle des Zentral¬rats der Juden in Deutschland und „Ge-denkstättenreferent“. Er war Ehrenpräsident des jüdischen Hilfswerks ACHMA Deutschland, das sich besonders um Überlebende des Holocaust kümmert.
H. Eschwege, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dresden, arbeitete vom Mai 1956 bis zum Juni 1958 als „Geheimer Informant“ (GI) „Bock“ für das MfS. Eschwege berichtete „über seine internationalen Kontakte zu führenden jüdischen Funktionären“. Als er im Sommer 1956 in die BRD reiste, hatte er vom MfS den Auftrag angenommen, Kontakte zu Leo Löwenkopf herzustellen, der damals noch Mitglied der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf war. Ein Jahr später ließ er sich vom MfS, gegen Bedenken der SED, nach Israel schicken, von wo aus er umfangreiche Berichte und Materialien mitbrachte. Vom Oktober 1985 bis zum November 1989 spitzelte er als IMS „Ferdinand“ erneut für das MfS, wo er vorgesehen war zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs, d. h. er berichtete über „feindlich-negative“ Handlungen, Personen und Personenkreise seines beruflichen und persönlichen Umfelds. So berichtete er über „innere Verhältnisse in den jüdischen Gemeinden der DDR, über Tagungen zum jüdisch-christlichen Dialog, über Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Dres¬den und des Verbandes […]“ usw. usf.
Dr. H. Simon, Vize-Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins und seit 1988 Stiftungsdirektor der „Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum“ signalisierte Anfang 1989, dass er „gern mit dem MfS in Verbindung stehen möchte“ und dass er „jederzeit für Fra¬gen und Probleme zur Verfügung“ stehen würde. Am 3. Mai 1989 berichtete er eine Stunde lang über Interna der Stiftung und am 25. Mai 1989 bat er um eine Überprüfung eines Bewerbers für ein Amt in der Stiftung. Am 29. September gab es den letzten Eintrag in der Akte HA XX/4, Nr. 2192.
Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Männer in den Jüdischen Gemeinden, die sich der geschickt geflochtenen Unterwanderung und Repression entzogen, unübersehbar waren und sie konnten so zur Zielscheibe für Repression und Hetze werden. Bereits 1953 nach der Flucht von hunderten von Jüdinnen und Juden aus der DDR kritisierte H. Baden als Verbandsvorsitzender eine üble Stellungnahme des Vorstands der Berliner Gemeinde, in der die Geflüchteten als Kriminelle dargestellt wurden: „Uns ist nicht bekannt, welche kriminellen Handlungen die seinerzeit weggegangenen Mitglieder begangen haben sollen. […] Es wäre nach unserer Auffassung richtiger, wenn man auf die Vorgänge im Januar 1953 zurückgeht, auch zu erwähnen, was denn diese Panik ausgelöst hat. Wir erinnern an die später als falsch bekanntgemachte Meldung über die angeblichen Verbrechen jüdischer Ärzte in der Sowjetunion“. Er kritisierte ebenfalls die einseitige Propaganda im Gemeindeblatt, verwies auf Ungerechtigkeiten bei den Renten die die Verfolgten des Naziregimes erhielten, auf die ausgebliebene Wiedergutmachung, auf wiederholte Schändungen jüdischer Friedhöfe und das Fortleben von Antisemitismus in ostdeutschen Publikationen. Um die politische Kontrolle über ihn zu rea¬lisieren, bediente man sich auch antisemitischer Vorurteile. Baden war von 1944 bis 1945 Gefangener im KZ Sachsenhausen. Er war, neben seiner Funktion als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle von 1946 bis 1962, auch von 1953 bis 1961 Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Bei der Entwicklung dieser Intrige setzten SED-Funktionäre auch auf antisemitische Vorurteile und die Maßnahmen gegen Baden sollten auf jeden Fall das Ziel haben, ihn zu „isolieren“. Baden war für das MfS ein „typischer Jude“ der nur „ma¬teri¬elle Vorteile“ im Blick hätte. Er würde zu Leu¬ten mit SED-Nähe auf Distanz gehen und er hätte „gute Verbindungen mit dem Leiter der jüdischen Gemeinde von Westberlin“ (Heinz Ga¬linski, HW), den er auch öfters zusammentraf.
Insgesamt war es den Vertretern der Jüdischen Gemeinden und des Verbandes nicht erlaubt, sich zu innen- oder außenpolitischen Ereignissen öffentlich kritisch zu äußern. Es war Ihnen nur erlaubt ihre Kritik am Antisemitismus bzw. Antizionismus der Regierung ausschließlich in internen Diskussionsrunden zu äußern. Von den Funktionären der Jüdischen Gemeinde von Groß-Berlin abgesehen, sie verloren öffentlich kein Wort über die Schändungen jüdischer Friedhöfe in Berlin, machte der Verband sie bis zum Beginn der 1960er Jahre öffentlich. SED, MfS und DVP waren bemüht solche unangenehmen Tatsachen entweder geheim zu halten oder sie verharmlosten die Schändungen als Ausdruck von „Rowdytum“ von Kindern oder Jugendlichen. Als 1983 auf dem jüdischen Friedhof von Erfurt Nazi-Symbole geschmiert und Grabsteine umgestürzt wurden, gab der Rat des Bezirkes Erfurt dem Gemeindevorsteher Herbert Ringer die Anweisung, dass „solange die Untersuchungen laufen, keinem anderen Personenkreis oder eventuell auftretenden Journalisten Auskünfte“ erteilt werden durften. Die Volkspolizei nahm dem Stellvertreter von Ringer, Raphael Scharf-Katz, den Film ab, auf dem die Schändungen dokumentiert waren. Als Ursachen der Friedhofsschändungen in Zittau und in Karl-Marx-Stadt wurden „heftige Windstöße“ und „grober Unfug“ durch Kinder verantwortlich gemacht.
Helmut Aris, Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden von 1962 bis 1987 und Vor-sitzender der Jüdischen Gemeinde in Dresden, kritisierte intern gegenüber Funktionären der SED, antisemitische Vorkommnisse in der DDR. Zu einer syrischen Ausstellung seien Broschüren mit antisemitischen Äußerungen verteilt worden. Es handelte es sich um eine Veröffentlichung: „Das Massaker von Kafr Kassem“, aus dem Verlag „Haus Palästina“ in Damas-kus, Syrien. Er attestierte ihnen, dass bei Schändungen jüdischer Friedhöfe sofort reagiert würde, wenn auch nicht mit akzeptablen Argumenten, wurden doch nach der Schändung eines jüdischen Friedhofes in Dresden, 3- bis 4-Jährige für die Schändung von Grabsteinen verantwortlich gemacht. Im September 1983 beschwerte sich Aris bei einem Gespräch im Staatssekretariat über Zeitungsartikel, weil dort antijüdische bzw. antisemitische Stimmungen in der DDR befördert wurden und er erwähnte auch die mehrfach stattgefundenen Schändungen jüdischer Gräber und Friedhöfe. Kurze Zeit später bat er beim Staatssekretariat um ein Gespräch, da im Fernsehen der DDR über die „zionistische Propagandalüge vom Terrorismus der PLO und über „Rassismus in Israel“ gehetzt worden war.
Auf Staatssekretariatsebene wurde 1975 erörtert, ob und wie zwei Vertreter der Juden in der DDR, Aris und Kirchner wurden genannt, zum Kongress der euro¬päi¬schen Ju¬den nach Lon-don reisen sollten. Die zuständigen Bearbeiter beim Staatssekretär für Kirchenfragen hatte erwogen, beide reisen zu lassen, jedoch mit der Auflage, sich weder als Delegierte noch als Beobachter nominieren zu lassen. Dazu wurde telefonisch mit dem sowjetischen Funktionär V. Titow, Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der Sowjetunion, die Situation beraten. Titow hatte sich dazu positiv geäußert, da er hoffte dadurch Informationen zu erhalten und da das SED-Mitglied Aris beteiligt sein sollte, hatte er nur mäßige Bedenken gegen eine Reisegenehmigung.
Anfang 1976 sprachen die Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen über „Eckpunkte sozialistischer Außenpolitik“; dabei wurden besonders das Verhältnis von Juden und jüdischen Organisationen zur DDR einerseits und zum Staat Israel andererseits thematisiert. Die Bereitschaft der SED-Funktionäre zu einem solchen Gespräch basierte selbstverständlich nicht auf einem öffentlichen, gesellschaftlichen Einfluss der jüdi-schen Gemeinden, sondern sie ergab sich aus der nationalsozialistischen Verfolgung und dem Holocaust. Die daraus resultierende „jüdische Frage“ sei nach 1945 erneut nur deshalb ent-standen, weil angeblich imperialistische Kreise im Westen die Diskriminierung der Juden in den „realsozialistischen" Staaten für ihre Zwecke „missbrauchten“. In der DDR hingegen würden Juden, wenn schon nicht als „Opfer des Faschismus“, so doch wenigstens als „Verfolgte des Nationalsozialismus“ anerkannt und einige Juden seien sogar Mitglieder der SED und empfänden die DDR als „ihren Staat“.
E. Gollomb, Vorsitzender der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig von 1967 bis zu seinem Tod 1988, war ehemals Gefangener im KZ Auschwitz und nach seiner Flucht Partisanenkämpfer, verteidigte das Recht der Juden immer und überall gegen jeglichen Antisemitismus aufzutreten, auch gegen den in der DDR. Funktionäre der SED bekämpften ihn besonders, weil er auch in Gesprächen mit Partnern aus dem Ausland seine politischen Ansichten äußerte. Weil er, er war nicht Mitglied der SED, die antizionistische bzw. antiisraelische Politik der DDR kritisierte wurde er bedroht, falls er seine Provokationen fortsetzen würde, wäre das mit „persönlichen Folgen“ für ihn verbunden. Nachdem weitere Debatten um die Ein-schätzung Israels und seiner Politik geführt worden waren, stellte E. Gollomb die rhetorische Frage, weshalb es jedem ehemaligen Nationalsozialisten ermöglicht werde, als Rentner in die BRD zu fahren. Er, ehemaliger Partisan und „Kämpfer gegen den Faschismus“, erhalte keine Erlaubnis seinen einzigen noch lebenden Bruder in Israel zu besuchen. Schließlich war er der Ansicht, dass auch bestimmte Deutsche aus der DDR als Touristen nach Ägypten fahren würden; ihm selbst war vom Auschwitz-Komitee eine solche Reise angeboten worden. Die SED-Funktionäre waren in diesem Gespräch zu dem Urteil gekommen, dass die Vertreter der Jüdischen Gemeinden ihre Argumente und Meinungen über den Zionismus ausschließlich auf emotionaler Basis aufbauten und deshalb wurden ihre Äußerungen als unwissenschaftlich abqualifiziert. Ihre emotionale Priorität hindere die jüdischen Leitungsvertreter daran, ihre Tätigkeit mit einer eindeutigen politischen Konzeption zu begründen. E. Gollomb wurde einer groben Kritik unterzogen, weil er durch seine erheblichen „zionistischen Tendenzen“ die Si-tuation immer wieder belaste und als besonders unangenehm wurde registriert, dass er auch in offiziellen Gesprächen mit Ausländern und in Leserbriefen klar seine Meinung vertrat.
1980 erhielt der Verband der Jüdischen Gemeinden eine Einladung zur 7. Vollversammlung des Jewish World Congress (JWC), die im Januar 1981 in Jerusalem abgehalten werden sollte. Daraufhin fragte Aris, Vorsitzender der Vereinigung der Jüdischen Gemeinden in der DDR, bei R. Bellmann, Staatssekretär für Kirchenfragen an, ob die Beteiligung einer Delegation für opportun gehalten werde. Bellmann teilte daraufhin der SED-Abteilung Internationale Verbindungen mit, dass eine Teilnahme einer Beobachtungsdelegation am Tagungsort Jerusalem aus politischen Gründen nicht möglich sei. Der stellvertretende Abteilungsleiter war ebenfalls der Ansicht, dass eine Teilnahme von jüdischen Vertretern aus der DDR in Jerusalem nicht möglich sei, weil der Aufenthalt von ostdeutschen Juden in Jerusalem einer Unterstützung der „israelischen Okkupationspolitik“ gleich kommen würde und eine indirekte Anerkennung Israels befürchtet wurde. Auch nicht durch bloße Anwesenheit dürfe der israelischen Politik „Vorschub“ geleistet werden. Schließlich stimmte auch Klaus Gysi, er war neuer Staatssekretär für Kirchenfragen geworden, diesem Verbot zu und die ostdeutschen Juden durften nicht nach Jerusalem reisen.
Bei einer Diskussion im Februar 1979 berichtete Peter Kirchner, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin von 1971 bis 1990, über Schändungen eines jüdischen Friedhofes. Die Täter waren gefasst worden, doch der zuständige Staatsanwalt von Berlin-Lichtenberg hatte ihm mitgeteilt, dass das Verfahren „wegen Geringfügigkeit“ wieder eingestellt worden war. Die Funktionäre in der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen und im Staatssekretariat für Kirchenfragen wollten sich nur noch dann um diese Gräberschändungen kümmern, wenn Kirchner in Zukunft damit aufhört, sich „politisch-negativ“ in der Öffentlichkeit zu äußern, d. h. er durfte antisemitische Vorfälle in der DDR nicht mehr erwähnen. In einer „Aussprache“ wurde ihm „Prinzipiell, aber in einer freundschaftlichen und freimütigen Form“ mitgeteilt, dass er sich vor öffentlichen Auftritten mit Vertretern des Staates und der Partei zu besprechen habe.
Die Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK der SED stellte 1985 bei den acht jüdischen Ge-meinden nicht nur eine Überalterung fest, sondern auch das es immer weniger Juden in der DDR gab. Die Zahl der Aktiven in den Jüdischen Gemeinden der DDR wurde mit etwa 450 Personen angegeben, von denen etwa 240 in Berlin (DDR) lebten. Dazu gab es etwa 7.000 Deutsche mit jüdischer Herkunft, die als „Opfer des Faschismus“ registriert waren, die keinerlei Verbindungen zu den Jüdischen Gemeinden hatten: Das war das Verhalten, was die SED von ihren Mitgliedern mit jüdischem Familienhintergrund absolut verlangte.
Im April 1986 wurde von der ZK-Arbeitsgruppe Kirchenfragen in einer Dokumentation zur Situation der jüdischen Gemeinden, der verlogene Antizionismus der SED sichtbar: „Der Kampf unserer Partei, das von Humanismus und Klassensolidarität geprägte Wesen ihrer Politik, kennt viele Beispiele, die deutlich machen, dass der feste Platz der Bürger jüdischen Glaubens in unserer sozialistischen Gesellschaft und die vertrauensvollen Beziehungen der Jüdischen Gemeinden zum sozialistischen Staat der Deutschen Demokratischen Republik ihre unter schwierigsten Bedingungen bewährte Vorgeschichte hat.“
Im August 1986 konstatierte das MfS nüchtern, dass die Jüdischen Gemeinden, außer in Berlin (DDR), nicht mehr „die Erhaltung und Pflege der jüdischen Tradition“ leisten könnten. Es wurde deshalb eine Konzentration der kulturpolitischen Zuwendungen nach Berlin (DDR) empfohlen: „Damit die sozialistische DDR entsprechend ihres antifaschistischen Charakters das Weiterbestehen von jüdischem Leben, die Erhaltung und Pflege sowie die Aufarbeitung ihres Anteils am gemeinsamen historischen und kulturellen Erbe für die Zukunft sichern kann, muß eine weiterreichende Unterstützung als bisher durch die Gesellschaft erfolgen.“
Mit den Gedenktagen zur 50. Wiederkehr der Pogromnacht Ende 1988 ebbte die offizielle antiisraelische Politik ab und in den Beschreibungen des Nahost-Konflikts wurden die Begriffe insofern ausgetauscht, als nun speziell nur noch vom „Terror“ gesprochen wurde. Der Konflikt im Nahen Osten war jedoch weiterhin wichtiger Teil der aktuellen Diskussionen, und der Schwerpunkt der Äußerungen galt nun eben dem „Terror der israelischen Okkupationstruppen gegen die Bevölkerung in den besetzten palästinensisch-arabischen Gebieten“.
In einem Offenen Brief des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR am 4. Novem-ber 1989, gerichtet an Mitglieder der Jüdischen Gemeinden und an die Abgeordneten der Volkskammer, hieß es: „Wir sind besorgt, wenn sich rechtsradikale und neonazistische Grup-pen bilden und die von ihnen ausgehende Gefahr in unserem Lande aus falsch verstandener Scham bagatellisiert. Antisemitische Vorfälle werden nicht dadurch ungeschehen, dass man ihre Spuren möglichst schnell beseitigt beziehungsweise Verhandlungen gegen gefasste Täter unter Ausschluss der Öffentlichkeit führt.“
Der Anteil antisemitischer Angriffe in der DDR liegt bei ca. 900 Vorfällen, davon betreffen ca. 145 Vorfalle Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gräbern.
Wo?
Kulturbar "Nordpol" Bornstraße 144 44145 DortmundWeitere Infos: https://ifgdortmund.wordpress.com/