01.03.2016
Helga Steinert
Erschienen in: Mittelsächsische LinksWorte (Mittelsachsen, Sachsen)

Flüchtlinge in Wiederau

Bürgermeister Johannis Voigt, Kreisrat Peter Krause und unsere Autorin Helga Steinert

Schon seit Beginn der Flüchtlingsbewegung war mir klar, dass diesen Menschen geholfen werden muss. Wie die Hilfe aber in unserem Ort gelingen sollte, bereitete mir Sorgen. Als die Gemeinde im Herbst vorigen Jahres erfuhr, dass sie an drei Terminen je 16 Flüchtlinge aufnehmen soll, bat der Bürgermeister in der Gemeindezeitung um Unterstützung. Darauf meldete sich im Rathaus eine junge Frau aus Stein. Mit ihr und ihrer Familie nahm ich sofort Kontakt auf. Und so konnte ich meine Idee, eine Helfergruppe zu bilden, in die Tat umsetzen. Wir sprachen Personen an, von denen wir vermuteten, dass sie für unser Anliegen aufgeschlossen sind. Bei unserer ersten Zusammenkunft waren wir 15 Leute. Der Bürgermeister und ein Sozialarbeiter, der schon in vielen

Flüchtlingslagern gearbeitet hat, waren eingeladen und auch anwesend. Als der Bürgermeister am 03.Dezember erfuhr, dass noch vor Weihnachten 100 Asylsuchende in Zelten im Gewerbegebiet untergebracht werden sollten, trafen wir uns wieder. Jetzt waren wir schon ca.25 Personen. Unsere erste Handlung bestand darin, am 22.12. im Lager anwesend zu sein und den Flüchtlingen Willkommen zu sagen. Ungefähr 50 Einwohner harrten aus, bis am Abend 60 junge Männer in diese Unterkunft gebracht wurden. Wir begrüßten sie herzlich, gaben Handzettel in mehreren Sprachen aus und knüpften erste Kontakte. Seit diesem Tag kümmern wir uns gemeinsam mit einem Sozialarbeiter und einigen DRK-Mitarbeitern um all ihre Belange.

Ich hätte mir nie vorstellen können, welche überwältigende Hilfsbereitschaft in unseren Orten vorhanden ist. Wir fahren mit den Jungs in die Nachbarstädte zum Einkaufen und ins Hallenbad, zeigten ihnen die notwendigen Buslinien, feierten mit ihnen Weihnachten und Sylvester, bringen sie zu Arztterminen, kauften notwendige Brillen, sammeln und kaufen Kleidung, erteilen zweimal je vier Stunden in der Woche Deutschunterricht, tischlern mit ihnen, treiben Sport, besuchen mit ihnen Firmen und Betriebe und vieles mehr. Wir richteten eine bequeme Sitzecke ein. Sie können Videos und auch schon mal einen richtigen Film schauen. Wir installierten Computer zum Deutschlernen. Ganz oft bereichern wir ihre angelieferte Verpflegung mit Obst, Kuchen, Nüssen uvm. Zweimal fand ein gemeinsames Essen statt, das auch gemeinsam zubereitet wurde. Beim letzten Termin ließen es sich rund 120 Einwohner und 40 Flüchtlinge schmecken. Dazu hatte der Bürgermeister eingeladen. Um alles auch finanziell stemmen zu können, richteten wir ein Spendenkonto ein. Unser jetziges ehrgeiziges Ziel ist, allen Jungs einen Paten zur Seite zu stellen, an den sie sich zuerst wenden können, wenn sie ein Problem haben. Diese Partnerschaften sind zum Teil schon so weit gediehen, dass gemeinsam etwas unternommen wird. Unser CDU-Bürgermeister Johannes Voigt gibt uns Unterstützung, wo immer es geht. Er und seine Frau sind oft im Camp und haben sogar schon selbst ein „Patenkind“. Ohne seine umfangreiche Hilfe wäre Vieles nicht machbar.

Meinen langen Bericht könnte ich mit weiteren positiven Tatsachen ergänzen, z.B. dass sich „unsere Jungs“ bis jetzt jederzeit angemessen verhalten haben. Aber ich muss noch ein Wort zu negativen Vorkommnissen sagen. Die Asylsuchenden sind in nicht winterfesten Zelten untergebracht. Als mehrmals die Heizung ausfiel, war es darin bitterkalt. Die Mahlzeiten sind nicht üppig und auch wenig abwechslungsreich. Seit die Flüchtlinge bei uns sind, hat sich in ihren Asylverfahren so gut wie nichts getan. Und dazu kommt, dass etliche Leute in unseren Ortsteilen bösartig hetzen, Unwahrheiten berichten, Ängste schüren und Drohungen aussprechen; in der Öffentlichkeit, aber vor allem im Netz.

Am 27.02., 15 Uhr, soll in Wiederau eine Demo der Flüchtlingsgegner stattfinden. Wir werden zu diesem Zeitpunkt natürlich im Camp sein.

Hinweis

Die gesamte Februar-Ausgabe der LinksWorte ist unter www.linksworte-mittelsachsen.de/ausgaben/102.pdf zu finden. Frühere Ausgaben sind archiviert unter www.linksworte-mittelsachsen.de/archiv.html .

Anmerkung der Redaktion:

Die Geschichte hat eine Fortsetzung, die wir aus Zeit- und Platzgründen erst in unserer März-Ausgabe bringen können. Nur soviel: Die Flüchtlinge sollten in ein anderes Heim verlegt werden. Die Einwohner von Wiederau haben das verhindert, in dem sie "ihre Jungs" zu Hause "versteckten". Die Busse standen vor einer leeren Unterkunft.