09.06.2015
Ruth Kretzer-Braun
Erschienen in: Mittelsächsische LinksWorte (Mittelsachsen, Sachsen)

Der Freitag - Mein Deutsch-Tag für Asylbewerber

Ruth Kretzer-Braun (rechts) und ihre "Schüler"

Freitag – mein Tag für Deutschaktivitäten

1. „Buntes Haus“ – Mehrgenerationenhaus am Wasserberg in Freiberg

Freitags von 09:00 Uhr bis 11:00 Uhr findet mein Konversationskurs schon mehr als zehn Jahre statt. Vorher wirkte ich in den Asylbewerberheimen zuerst in Zug, dann im „Freiberger Hof“ und an der Chemnitzer Straße.
Teilnehmer waren Asylbewerber aus Iran und Irak, dazu gesellten sich Aussiedler. Diese bilden jetzt den Stamm der Gruppe. Sieben Aussiedlerinnen, eine Mongolin, eine Mexikanerin und ein Ehepaar aus Libyen besuchen zurzeit den Kurs.

2. Chemnitzer Straße 44 – Asylbewerberheim

Seit dem 30.01.2015, wöchentlich freitags von 14:00 Uhr bis 16:00 Uhr, bin ich nun auch wieder an der Chemnitzer Straße im Keller des Asylbewerberheimes aktiv. Unterstützung erhalte ich seit zwei Monaten von Silke, einer Krankenschwester, die helfen will und kann.

Begann ich mit 15 Teilnehmern, begrüßen wir jetzt bereits 30. Eigentlich für einen Sprachkurs viel zu viel! Aber sollen wir die Motivation der Flüchtlinge, die deutsche Sprache zu lernen, stoppen?

Um einem roten Faden folgen zu können, setze ich ein „Multinationales Sprachmaterial von A – Z“ ein, das ich bereits 1996 von Kollegen aus Hamburg erwarb, das überschaubar und zur Vervielfältigung geeignet ist.
Im „Unterrichtsraum“ gibt es eine echte Tafel, Kreide, Stühle und Tische. Die Fußkälte wird durch helle Auslegware gemindert. Alle Teilnehmer müssen „Überzieher“ wie in einem Museum tragen. Der Verschleiß dieser Hilfsmittel ist groß.

Jeder Teilnehmer hat seine Namenskarte (siehe Foto), die das gemeinsame Gespräch erleichtert. Wir führen eine Anwesenheitsliste.
Es gibt eine Art Ritual für den Verlauf des Kurses:

a) Einordnen des Tages in die Woche, den Monat, das Jahr – „Heute ist …“

b) Interviewfragen für Kommunikation an jedem Tisch –
c) Wie heißt du? Wie heißen Sie? Woher kommst du? Wie lange bist du hier?
d) Bist du allein hier? Welchen Beruf hast du? Welche Sprachen sprichst du? Wo wohnst du? - Wird immer ergänzt.
e) Gemeinsame Bearbeitung der Arbeitsblätter aus dem „Multinationalen
f) Material (A wie Ampel, O wie Oma …)
g) Hausaufgaben – Arbeitsblatt mit nächstem Buchstaben selbständig bearbeiten.

Verständigungssprachen sind Deutsch, Englisch und Russisch. Arabisch sprechende Teilnehmer unterstützen uns.

Seit März erhöht sich die Anzahl der Teilnehmer aus Eritrea ständig.
Zu diesen Menschen habe ich eine besondere Beziehung, die in die Jahre 1988/89 zurückreicht. Johannes wurde von der Bergakademie Freiberg an die Asmara-Universität nach Eritrea (damals noch zu Äthiopien gehörend) entsandt, ich durfte als seine Ehefrau dabei sein. Es war ein sehr intensives „Lehrjahr“, welches wir als DDR-Bürger dort erleben durften. Johannes war als Dozent für Unternehmens-Management tätig, ich brachte meine pädagogischen Kenntnisse und Fähigkeiten in der Lehrerausbildung ein.

Jetzt, nach 26 Jahren, begegne ich hier in Freiberg wieder so vielen lernwilligen jungen Menschen aus Eritrea, die mich an die Zeit an der Universität erinnern. Wir erlebten dort die Auswirkungen des Krieges zwischen Äthiopien und Eritrea, konnten deshalb unsere Tätigkeit, die für 3 Jahre vertraglich gesichert war, nicht fortsetzen, mussten in Freiberg bleiben und erlebten die Wendezeit!
Eritrea wurde ein unabhängiger Staat, die Universität wurde vom Militär übernommen, sie existiert nicht mehr. Die jungen Eritreer, denen wir hier in Freiberg begegnen, brauchen unsere Hilfe genauso wie die anderen Flüchtlinge.

An unserem Kurs nehmen auch Libyer, Syrier, Afghanen, Sudanesen, Georgier, Albaner teil. Ihre Berufe erstrecken sich vom Chirurgen, Gynäkologen, Zahnärztin, Computerspezialist, Lehrer über Automechaniker, Dekorateur, Koch, Student bis hin zu Menschen ohne Beruf. Bald haben wir das „Multinationale Deutschprogramm“ abgearbeitet, dann wird auf ähnliche Art und Weise Grammatik, die durch Bilddarstellungen verständlicher wirkt, bearbeitet. Ich beobachte, dass sehr oft von den Teilnehmern arabische Schriftzeichen hinter oder über deutsche Begriffe geschrieben werden. Manchmal hilft auch das Handy, was viele besitzen, als „Übersetzer“. Als wissbegierig, freudvoll, diszipliniert, dankbar und höflich, nehme ich unsere „Schüler“ wahr, erlebe ihre Anstrengungen, auch wenn sie noch nicht wissen, welchen Status sie haben. Monatlich, fast wöchentlich erhöht sich die Anzahl der Lernwilligen.

Hinweis
Die gesamte Mai-Ausgabe der LinksWorte ist unter www.linksworte-mittelsachsen.de/ausgaben/93.pdf zu finden. Frühere Ausgaben sind archiviert unter www.linksworte-mittelsachsen.de/archiv.html .