09.06.2015
Ruth Fritzsche
Erschienen in: Mittelsächsische LinksWorte (Mittelsachsen, Sachsen)

Tag der Befreiung - Tag des Sieges über die Unmenschlichkeit

Der sanierte Gedenkstein

Die Ermordung der sieben Antifaschisten am 27.03.1945 im Neukirchner Wald bei Chemnitz jährte sich zum siebzigsten Mal. Der erneuerte Gedenkstein am Huthholz in Neukirchen, von dem in den LinksWorten bereits berichtet wurde, ist mir Anlass zu diesem Beitrag. Ich selbst stamme aus Chemnitz, bin in einer kommunistischen Familie aufgewachsen, d.h. den Nazikram musste ich in der Schule schon mitmachen, aber dennoch habe ich mich von faschistischen Organisationen, wie Jungmädelbund und BDM ferngehalten. Ich lernte in der Kammgarnspinnerei Solbrig Söhne. Nach Abschluss meiner Kaufmannsgehilfenprüfung verließ ich den Betrieb und begann durch Vermittlung meines Vaters am 12. Mai 1945 meine Tätigkeit im Chemnitzer Polizeipräsidium auf der Hartmannstraße. Dort lernte ich u.a. zu allererst all die Genossinnen und Genossen kennen, die z.B. als ehemalige politische Häftlinge aus dem Zuchthaus Waldheim oder aus Buchenwald kamen Somit bin ich also ein Zeitzeuge und habe sehr viel Interessantes erlebt, was mein gesamtes politisches Leben geprägt hat. Obwohl uns nicht alle Nazigrößen z.B. von der Gestapo in die Hände gefallen sind, weil sie sich über die Grüne Grenze zu den damals in der Nähe stationierten Amerikanern begeben haben, hat unsere damalige sogenannte politische Polizei Jagd auf Naziverbrecher gemacht. So geriet der Gestapohengst Obst, der schon in der Weimarer Republik zu der Gruppe der Polizei gehörte, die vor allem Linke zu bearbeiten hatte, in unsere Hände. Auch der Fang des sächsischen Gauleiters Mutschmann und des letzten Kreisleiters der NSDAP in Chemnitz, Schöne, ist unseren Genossen gelungen.

Herr Obst wollte sich bei uns einschleimen und äußerte sich, dass er über all die verbrecherischen Dinge berichten möchte, die ihn bei der Gestapo bekannt geworden sind. So traten die Genossen an mich heran, ob ich bereit wäre, mit Obst in einem Zimmer zu sitzen, wo er mir in die Schreibmaschine direkt diktieren möchte. Ich brauche keine Angst zu haben, sie schließen mich von außen ein und gucken immer mal nach mir. Ich hatte keine Hemmungen und sagte zu diesem Unterfangen ja. Seine Berichterstattung ging über 2 Tage. Mir sind dennoch Bruchteile noch bekannt und dazu gehörte sein ausführlicher Bericht über die Ermordung der sieben antifaschistischen Widerstandskämpfer Albert Hähnel, Max Brand, Alfons Pech, Kurt Krusche, Walter Klippel, Albert Junghans und Willy Reinl. Er schilderte alles ganz genau. Am 05. März war das Untersuchungsgefängnis auf dem Kaßberg von Bomben getroffen worden, die Häftlinge seien nach Hause geschickt worden, um sich am anderen Morgen wieder zu melden. Das hätten diese Sieben nicht getan, und sie seien am 27.03.1945 aus ihren Wohnungen geholt worden, nach Neukirchen gebracht und von Gestapomitarbeitern dort erschossen worden. Sie wurden in der ausgehobenen Grube verscharrt. Dieser Bericht erfschütterte mich sehr, da z.B. der Name Albert Hähnel, der meinem Vater gut bekannt war, desöfteren von ihm erwähnt wurde. Mein Vater hat ihn oft auf dem Arbeitsweg getroffen.

Hinweis
Die gesamte Mai-Ausgabe der LinksWorte ist unter www.linksworte-mittelsachsen.de/ausgaben/93.pdf zu finden. Frühere Ausgaben sind archiviert unter www.linksworte-mittelsachsen.de/archiv.html .