01.06.2015
Klaus Kablow
Erschienen in: Marzahn-Hellersdorf links (DIE LINKE. Berlin, Berlin, Berlin)

Geschichte - wie sie war

Ein Buch mit Interviews über die Wendezeit aus heutiger Sicht

Titel des Buches
Marzahn-Hellersdorf

„Warum wollt ihr weg?“ und „Warum bleibt ihr hier?“ - vor 25 Jahren stellte in der Wendezeit die Journalistin Burga Kalinowski im Fernsehen der DDR diese Fragen an Menschen, die das Land verlassen, und andere, die es besser machen und deshalb in der DDR bleiben wollten.
Ein Vierteljahrhundert danach hat die Publizistin nun gefragt: „War das die Wende, die wir wollten?“ Eine einfache Frage – scheinbar. Die Antworten darauf kamen dieser Tage im Verlag Neues Leben als Buch heraus. Befragt wurden ehemalige DDR-Bürger. Das Buch mit präzise und einfühlsam geführten 25 Interviews sowie drei Autorenbeiträgen macht deutlich: Geschichte ist gelebtes Leben, und das ist in aller Regel vielen, auch widersprüchlichen Einflüssen unterworfen. Ein einfaches Ja oder Nein reicht bei Weitem nicht aus, um ein halbwegs stimmiges Bild zu erhalten. Lässt man dies außer Acht, landet man schnell bei einer unsäglichen „Geschichtsdebatte“ wie der in den vergangenen Monaten geführten, in der die DDR kurzerhand und propagandistisch einfallslos zum „Unrechtsstaat“ erklärt wurde – und basta. So einfach und wohlfeil geht es auch heute in ideologischen Auseinandersetzungen her.
Der neudeutschen Simplifizierung von Geschichte und individuellem Leben setzt dieses aktuelle Wende-Buch ein eigenes Bild entgegen. Allein die selbstbewusste Sicht macht das gute und interessante Buch zu einer ungewöhnlich ehrlichen und informativen Neuerscheinung. Unsere Vergangenheit mal nicht als Dekoration für Pleiten und Versagen im gegenwärtigen Politikbetrieb und Parteiapparaten. Danke für das Vorwort.
Unabhängig vom Grad der Prominenz der befragten Gesprächspartner erhält der Leser einen Einblick in die Verflechtung von Lebens- und Zeitläufen. Ob Arzt, Kabarettistin, Schauspieler, chilenische Emigrantin, Kalikumpel, Maler, Busfahrer oder Ministerpräsident a.D. - sie alle werden von Burga Kalinowski so gefragt, dass nicht nur ein vertrauensvolles und gleichberechtigtes Interviewklima entsteht, sondern freimütig Geschichten aus der Geschichte eines untergegangenen Landes realistisch erzählt werden - können.
Zeit wurde es ja langsam. Vielleicht aber besteht das Bemerkenswerte des Buches in der Abwesenheit von Häme und Herabsetzung des Lebens in und mit der DDR.