Zur Person: Dr. Lutz Prieß
Der Historiker Lutz Prieß, Jahrgang 1951, war nach der Wende unter anderem im Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück tätig, zeitweise auch in der Historischen Kommission der LINKEN und mit der Neuerforschung der SED-Parteigeschichte befasst. Mit der Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten ist Dr. Prieß bestens vertraut. In Leipzig studierte er Geschichte und in Moskau schrieb er seine Dissertation. Er war von 1981 - 1992 am Institut für Marxismus-Leninismus – ab 1989 Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung – beschäftigt; seither freiberuflich.
Das Mitglied im Heimatverein war einer der Kuratoren der am
8. Mai wiedereröffneten Ausstellung des Bezirksmuseums „Marzahn-Hellersdorf 1933 bis 1945“. Allein hier gab es über 30 Zwangsarbeiterlager.
Wichtigstes Projekt derzeit ist für den freien Mitarbeiter des Deutsch-Russischen Museums in Karlshorst die Datenbank der Website www.sowjetische-memoriale.de zu den Grabstätten sowjetischer Zwangsarbeiter und Soldaten in Deutschland. Mit dieser existiert, wie Prieß hervorhebt, erstmals ein online verfügbares Ortsverzeichnis zu sowjetischen Kriegsgräberstätten einschließlich der russischen des Ersten Weltkrieges in Deutschland. Das durch die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft geförderte Projekt begann 2013. Nach und nach wird die (seit 24. April 2015 öffentliche) zweisprachige Datenbank ergänzt und soll in Zukunft mit Namen von Gefallenen und Ermordeten erweitert werden. Ein, wie Prieß zugibt, Mammutprogramm, dessen Finanzierung noch in den Sternen steht. Doch immer wieder stellen Kinder und Enkel der in Deutschland Begrabenen oder Verschollenen Anfragen, wo genau ihre Verwandten eine letzte Ruhestätte fanden.
Bemerkenswert ist, dass deutschlandweit viele Grabstätten erhalten blieben, die meisten in den Industriegebieten Nordrhein-Westfalens! Für Dr. Prieß ist es ein zutiefst humanistisches Anliegen, dass diese Toten nicht vergessen werden. Er sagt: „Jeder Tote sollte seinen Namen bekommen.“ - gerade deshalb, um die faschistische Praxis, den Toten ihre Identität zu entziehen, nicht noch im Nachhinein siegen zu lassen.
Unterstützung zur Pflege und zum Erhalt der Gräber kommt aus fast allen politischen Richtungen, den Kirchen und besonders vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Der Historiker Prieß fordert, den 8. Mai endlich zum gesetzlichen Gedenktag zu erheben.
Als Vorstandsmitglied der Berliner Freunde der Völker Russlands e.V. hat er eine diesbezügliche Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht.
Während unseres Gesprächs erhält – als ob das Interesse an den Grabstätten demonstriert werden soll – Prieß den Anruf eines Bundeswehroffiziers a.D. aus Ingolstadt. Dieser informiert über neu entdeckte Grabanlagen, die so in der Datenbank noch nicht vermerkt sind. Das Einpflegen der neuen Daten durch die Redakteure kann mitunter länger dauern. Oft sei es schwierig, Friedhöfe und Gedenkstätten örtlich zuzuordnen, da sie zuweilen keine Straßennamen haben und sich infolge der Gebietsreformen damalige Ortsbezeichnungen nicht mehr wiederfinden.
Prieß freut es, dass sich viele Menschen von den aktuellen politischen Konflikten und der Medienberichterstattung nicht beirren lassen und sich im Kleinen um Verständigung und Aussöhnung kümmern. Russland bleibe, so betont Dr. Prieß, einer der wichtigsten Partner in Europa und eine erneute Annäherung sei das Gebot der Stunde.
Das Gespräch führten:
Bernd-R. Lehmann und Thomas Braune