01.06.2015
Wolfgang Brauer (MdA)
Erschienen in: Marzahn-Hellersdorf links (DIE LINKE. Berlin, Berlin, Berlin)

Theater ums Theater

Wolfgang Brauer ist der kulturpolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Marzahn-Hellersdorf

In jüngster Zeit lag viel Schaum auf den Wellen der Berliner Kulturpolitik. Der Wind ließ nach – und unter dem glatten Wasserspiegel wurde ein trübes Gewässer sichtbar. Veranlasst wurde die Schaumschlägerei durch den BE-Intendanten Claus Peymann, der Kulturstaatssekretär Tim Renner vorwarf, Intendanten-Posten frei nach Nase zu vergeben. Konkret ging es um die Nachfolge von Frank Castorf an der Volksbühne. Renner jubelte seinem Kultursenator – der ist Stadtentwicklungsfachmann – einen Event-Manager einer Londoner Galerie unter. Das war kein Zufall: Gegenwärtig wird in Berlin versucht, überall nachhaltige Kulturarbeit durch das schrille Event zu ersetzen. Im Ballett wird Sasha Waltz bejubelt, die man auch nicht mit den notwendigen Mitteln ausstattet – dem Staatsballett wird ein Haustarifvertrag verweigert. Inzwischen greifen die Tänzerinnen und Tänzer zum Mittel des Streiks. Die landeseigenen Einrichtungen darben, die freie Szene wird von SPD und CDU beklatscht – man verweigert ihr aber die notwendigen Gelder. Statt dessen werden Spiele ohne Brot finanziert: Tausende beleuchtete Luftballons für sechs Millionen Euro – soviel kostete das Event zum 9. November –, denen man allerdings aus Umweltschutzgründen vor dem Aufsteigen das Licht ausschaltet ... Die Event-GmbH ist auch dafür verantwortlich, wie im Berliner Beton-Schloss („Humboldt-Forum“) Berliner Stadtgeschichte präsentiert werden wird. Das Stadtmuseum aber staubt weiter still im Köllnischen Park vor sich hin. Da und nirgend woanders wäre der Erweiterungsbau dringend erforderlich.
Nach dem Tempelhof-Desaster liegt auch in Sachen Landesbibliothek der See still und ruhig. Klar ist nur, dass die Kosten abgesenkt werden sollen. Diesmal nicht am Bau, die Absenkung wird beim Personal und den Ankaufsmitteln erfolgen – wie bei den Bezirksbibliotheken. Bis zum heutigen Tag weigert sich die Koalition, ein Bibliothekskonzept für Berlin vorzulegen. Sie weigert sich überhaupt, kulturpolitische Leitlinien vorzulegen. Stattdessen beschwört sie Kultur als Standort- und Wirtschaftsfaktor. Dafür ist Tim Renner der Richtige. Er kommt aus der Unterhaltungsindustrie. Merke: Was sich nicht gut verkauft kann weg. Oder man zahlt sehr, sehr viel dafür. In der Konsequenz wird Hochkultur wieder ein Privileg der Oberschichten. Für die Armen dieser Stadt reichen fast food im Kiez und die Massen-Events. Genau das steckt hinter dem Theaterstreit. Das gute alte Theater als Ort des Vergnügens, der Bildung und des politischen Streites für alle soll weg. Genauso wie die Mitte Berlins nicht mehr zum Wohnen für die Unterschichten da sein soll. Da steckt politische Absicht dahinter. Wie bei den Vermietern, die keine armen Menschen in ihren Häusern dulden.
Dagegen muss, meine ich, viel heftigerer Widerstand entfaltet werden. Wir versuchen das im Abgeordnetenhaus. Aber ohne stärkeren Druck „von unten“ wird die Stadt in sehr wenigen Jahren sehr viel ärmer sein als heute. Allerdings wird sie stärker glänzen ...