Was uns bewegt - Das Bild der DDR oder das heute Mögliche
Unter dem oben stehenden Motto fand am 7. November in Chemnitz eine von mehreren Veranstaltungen der Rosa Luxemburg Stiftung Sachsen e.V. statt. Es ging - etwas verkürzt gesagt - um den Standpunkt des Einzelnen zur DDR aus heutiger Sicht - Rechts- bzw. Unrechtsstaat oder keines von beidem, Diktatur, Regime?
Die Idee dazu wurde im Landesvorstand der LINKEN geboren. Die Rosa Luxemburg Stiftung Sachsen wurde gebeten, die Organisation zu übernehmen. In Chemnitz saß Peter Porsch vor einer interessierten Hörerschaft und lieferte jede Menge Anregungen für die folgende lebhafte und inspirierende Diskussion. Wir berichten im Folgenden davon.
Das ca. 45-minütige Eingangsstatement von Peter Porsch war zweigeteilt: Zunächst ging er auf sein persönliches Verhältnis zur DDR („subjektiv und objektiv kein Unrechtsstaat“) und auf die Zeit seines aktiven politischen Wirkens („Veränderung beginnt mit Opposition“) in der und mit der PDS in Sachsen ein. Dann nach seinen eigenen Worten eine scharfe Zäsur, um sich mit dem „Doof-Wort Unrechtsstaat“ auseinander zu setzen. Seinen als Sprachwissenschaftler natürlich auch theoretisch geprägten Ausführungen stellte Peter Porsch eine Bemerkung von Bodo Ramelow voran, dass es Unsinn sei, die DDR auf ein Wort zu reduzieren. Bei seinen intensiven Recherchen in den diversen Fachwörterbüchern, so Porsch, sei er nur im Duden-Universalwörterbuch fündig geworden. Dort werde der Begriff „Unrechtsstaat“ als abwertendes Gegenwort zum „Rechtsstaat“ verwendet. Intensiver nachzudenken habe er aber beim Begriff „SED-Unrechtsregime“ begonnen. Zwischen den beiden Verfassungen der DDR von 1949 und 1968 habe es mit der Festschreibung der führenden Rolle der SED eine Zäsur gegeben. Dadurch, dass sich die SED die Erkenntnis eines gewissen Geschichtsfinalismus anmaßte (ich füge hinzu: „Die Partei hat immer recht“, hw), konnte eine veränderte Rechtsauffassung impliziert werden, die es der SED selbst und über die Nationale Front mit den nicht um die Macht konkurrierenden Parteien ermöglichte, anders mit dem Recht umzugehen.
Porsch zu Thüringen. Dort gäbe es nicht nur jene die Gemüter erregende Protokollerklärung zu den rot-rot-grünen Sondierungsgesprächen, sondern auch eine grundsätzlich Vereinbarung mit 17 konkreten Punkten, wobei mit jedem einzelnen gegenwärtig in Deutschland bestehendes Unrecht bekämpft oder beseitigt werden soll. Könne man, so Porsch am Ende seiner Ausführungen, nicht auch mit Blick auf die Bemerkung von Karl Marx im Brief an Wilhelm Bracke („Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“), ganz pragmatisch mit dem „Unrechtsstaat“ umgehen? Es stehe die Alternative: „Wir haben in der PDS schon Härteres erduldet“ oder „genug jetzt“.
In der nachfolgenden Diskussion dominierte das „Wir erdulden das Doof-Wort Unrechtsstaat im Interesse der Gestaltungsmöglichkeiten der LINKEN Thüringens“. Allerdings gab es auch Gegenwind. So hatte die langjährige PDS-Landtagsabgeordnete Angela Schneider gemeinsam mit ihrem Mann Rainer in einem Offenen Brief erklärt: „empört und voller Zorn haben wir zur Kenntnis genommen, mit welchem nachträglich fiesen Verrat sich DIE LINKE eine Regierungsbeteiligung in Thüringen erkaufen möchte.“ In der Diskussion nahmen beide die Schärfe des Tons zurück, bekräfigten aber ihren Standpunkt in der Sache. Dagegen argumentierten Frank Richter aus Frankenberg und viele andere, dass wir jetzt nicht über den „Unrechtsstaat“ stolpern sollten.
Zum Schluss noch einmal Peter Porsch: „Wir hatten in der DDR nicht mehr die politischen Mehrheiten. Die mussten wir uns zusammenfälschen. Wir haben die Machtfrage über die Rechtsfrage gestellt. Die Macht haben wir verspielt“. Und er zog für sich persönlich die Schlussfolgerung, die aber jeder für sich selbst ziehen müsse: „Im Kreisverkehr haben die Thüringer Genossen die richtige Ausfahrt gewählt“.
Hinweis
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