Ein Leben mit und gegen Kommunisten
Ruth Fischer – ihr Weg und Wirken im 20. Jahrhundert
Eric Hobsbawn, der beeindruckende marxistische Historiker, nennt in seiner Autobiografie („Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20. Jahrhundert“) die Eislers aus Leipzig und Wien „die Komintern-Familie par excellence.“ Gemeint sind Hanns Eisler (1898–1962), der Komponist und kongeniale Partner Brechts, sein Bruder Gerhart (1897–1968), führendes Mitglied der KPD in der Weimarer Republik und Vertreter der Komintern (KI) in China (1929) und den USA (1933–1935), sowie deren ältere Schwester Ruth Fischer (1895–1961). Letztere entreißt Mario Kessler mit seiner fulminanten Biografie der Vergessenheit.
Das vorliegende Buch überzeugt durch seine Quellenbasis (bis hin zur Auswertung von US-Geheimdienstakten) und ist mehr als „nur“ eine Biografie. Da der Kommunismus als Ideologie und Bewegung immer der archimedische Punkt blieb, um den sich Ruth Fischers Leben drehte, sind die 759 Seiten in gewisser Weise eine Geschichte der kommunistischen deutschen Arbeiterbewegung.
Ruth Fischer, geboren in Leipzig und aufgewachsen in Wien, studierte Pädagogik, Wirtschaftswissenschaften, Philosophie und Psychologie, belegte Lehrveranstaltungen bei dem marxistischen Sozialphilosophen Max Adler, ohne jedoch ihr Studium abzuschließen. Politisch engagierte sie sich nach Ausbruch des 1. Weltkrieges auf dem linken Flügel der österreichischen Sozialdemokratie und gehörte am 3. November 1918 zu den Gründern der KPÖ. Im Spätsommer 1919 verließ Ruth Fischer Österreich, um sich politisch in Deutschland zu engagieren. 1924 gelangte sie gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Arkadij Maslow (1891–1941) in die Führung der KPD. Damit stand sie als erste Frau weltweit an der Spitze einer Massenpartei. Politisch war sie eine Verfechterin eines ultralinken Kurses. So trat sie gegen eine Einheitsfrontpolitik mit der SPD auf, lehnte jegliche Formen von Demokratie ab, negierte die bürgerlichen Freiheitsrechte und den bürgerlichen Parlamentarismus. In ihrer Antrittsrede als Reichstagsabgeordnete am 4. Juni 1924 bezeichnete sie ihre Kollegen als „Schattenmänner“, „Traumgestalten“ und „Hampelmänner der Kapitalisten“. Genossen, die mit der Weimarer „Reichsverfassung liebäugelten“, hatten nach ihrer Auffassung in der KPD nichts zu suchen.
Folgerichtig lehnte sie auch das Konzept der Arbeiterregierung ab. Kernpunkt dieses Ansatzes war die Chance zur Veränderung des Kräfteverhältnisses durch demokratische Maßnahmen. Das Konzept wurde in Anlehnung an Positionen Paul Levis, von August Thalheimer, Heinrich Brandler sowie Clara Zetkin 1922/23 in der KPD vertreten. Ende 1922 gewann die Frage der Arbeiterregierung praktische Bedeutung. In Sachsen wurde die SPD-Regierung durch die KPD toleriert und in Thüringen regierte eine Koalition aus SPD und USPD, die sich nach der Vereinigung von KPD und linker USPD gleichfalls auf die KPD stützen konnte. Die Thüringische Regierung forcierte beispielsweise eine Reformpolitik in der Volksbildung und berief progressive Wissenschaftler an die Universitäten. Vor dem Hintergrund einer aufkommenden faschistischen Gefahr bildeten SPD und KPD im Herbst 1923 Koalitionsregierungen in Sachsen und Thüringen. Diese Arbeiterregierungen nahmen den demokratischen Impuls der Novemberrevolution auf. Zielstellung war es, die bürgerliche Eigentumsordnung zugunsten einer sozialistischen aufzuheben, in der eine weitgehende ökonomische Gleichheit zur Grundlage demokratischer Teilhabe in der Politik wird. Beide Regierungen wurden unter Missbrauch des Notstandsartikels der Weimarer Reichsverfassung abgesetzt.
Ruth Fischer schaltete nach der Oktober-Niederlage des Jahres 1923 die Anhänger einer Arbeiterregierung aus der KPD-Führung aus. In der Folgezeit setzte sie sich für die Bolschewisierung der KPD ein. Das bedeutete eine Angleichung an das sowjetische Parteimodell, was wiederum die Beerdigung der innerparteilichen Diskussionen mit sich brachte.
Kessler arbeitet heraus, dass die Bolschewisierung ideologisch auch den Abschied vom Denken Rosa Luxemburgs beinhaltete. Für Rosa Luxemburg waren bekanntlich die Freiheitsrechte auch Bauelemente einer freieren und gerechteren Gesellschaft. Für Ruth Fischer war hingegen der „Luxemburgianismus“ eine Syphilis.
1925 wurde Ruth Fischer von Stalin fallen gelassen. 1926 erfolgte ihr Ausschluss aus der KPD. Von nun an bekämpfte sie auch Stalin, obwohl sie den Weg für eine Stalinisierung der KPD mit geebnet hatte. Nachdem 1928 ihr Reichstagsmandat erloschen war, lebte sie als Sozialfürsorgerin weiterhin in Berlin. Mit der Machtergreifung der Nazis floh sie 1933 nach Paris und 1940 über Portugal in die USA. Maslow gelang es hingegen nur, nach Havanna auszureisen, wo er einem Mordkomplott Stalins zum Opfer fiel. Dies trug dazu bei, dass Ruth Fischer im amerikanischen Exil zu einer fanatischen Antikommunistin mutierte. Selbst ihren Brüdern unterstellte sie die Teilnahme am Mord Maslows. Insofern denunzierte sie 1947 nicht nur Brecht („Minnesänger der GPU“), sondern auch Gerhart Eisler vor dem Ausschuss für unamerikanische Tätigkeit. Mit Beginn der Entstalinisierung Mitte der 50er Jahre näherte sich Ruth Fischer, mittlerweile in Paris lebend, wieder dem Kommunismus an. Zu einer Versöhnung mit ihren Brüdern kam es jedoch nicht.
Kessler kommt zu dem Schluss, dass es genau dieses linksradikalen, unduldsamen, intoleranten Typus, den Ruth Fischer verkörperte, bedurfte, um den undemokratischen Geist in KPD und Komintern durchzusetzen. Gleichzeitig zeigt er aber eine andere Traditionslinie innerhalb der KPD auf, die auf Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichheit fußte. Jene Linie ist mit dem Konzept der Arbeiterregierung verknüpft. Es steht einer Partei wie der LINKEN, die die Voraussetzungen von Koalitionen mit der SPD auf Bundes- bzw. Landesebene diskutiert, gut zu Gesicht, sich mit diesem historischen Erbe auseinanderzusetzen und es aufzuheben.
Mario Kessler: Ruth Fischer. Ein Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961). Böhlau Verlag, Köln 2013, gebunden, 759 Seiten, ISBN 978-3-412-21014-4, 59,90 Euro