22.10.2018
Paul Kurzke
Erschienen in: Märkische Linke (LINKE Ostprignitz-Ruppin, Ostprignitz-Ruppin, Brandenburg)

Wir waren dabei!

Das »wirsindmehr« Konzert gegen Hass und Ausgrenzung in Chemnitz

Rheinsberg

Die Stadt ist voll. Wir brauchten mehrere Ampelphasen, um auf den Parkplatz der Messe in Chemnitz zu gelangen. Am Eingang weist uns ein netter Mann - auf Sächsisch - ein und beschreibt, wie wir in die Innenstadt kommen. Wir fragen nach, verstehen dann so etwa, wo wir lang müssen. Vom Parkplatz sind es nur wenige Meter bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Hier wartet bereits eine große Gruppe junger Leute, offensichtlich alle mit dem selben Ziel: Das »wirsindmehr« Konzert in der Chemnitzer Innenstadt.
Die erste Tram hat keinen Platz mehr für uns. Auch die Nächste teilen wir uns wieder mit vielen jungen Menschen, die sich in der Zwischenzeit schon wieder am Bahnhof gesammelt haben. Die Fahrer sind nett und hilfsbereit und weisen die ortsunkundigen Besucher auf die richtige Haltestelle hin.
Dann kommen wir an der Johanniskirche an. Auf die Bühne können wir nicht gucken. Unzählige Menschen haben sich bereits auf dem Platz versammelt. Nach einer Weile finden wir einen Platz, an dem es uns zumindest möglich ist, auf die zwei großen Leinwände zu blicken. In der Ferne, hinter einem Baum, lässt sich eine Bühne erahnen.
Nach einer Schweigeminute und der Einstimmung durch die Organisatoren eröffnet Trettmann pünktlich als erster Act das Konzert. Der Sound ist gut, das Publikum bestens gelaunt, die Sicht miserabel. Macht nichts! Inmitten dieser unglaublichen Menschenmenge scheint es egal, wer da gerade vorne Musik macht. Menschen aller Altersgruppen, jeder sozialen Schicht und aus den verschiedensten (Sub-)Kulturen stehen um uns herum. Einige tragen Fahnen, andere Transparente. Ein paar stehen weiter hinten, haben die Hände in den Taschen und betrachten mit breitem Grinsen das bunte Treiben.
Monchi, der Sänger der Band »Feine Sahne Fischfilet« eröffnet jedes Lied mit thematischen Anekdoten. Darunter Lieder über Morddrohungen gegen politisch engagierte Menschen oder das Leben in der Provinz mit dem alltäglichen Kampf gegen Hass und Ausgrenzung.
Der Blick nach hinten offenbart eine komplett menschengefüllte Kreuzung, mitten in Chemnitz. Verkehr ist hier unmöglich. Einige klettern auf Laternen, Werbebanner oder Wartehäuschen. K.I.Z. tritt auf. Neben den politischen Radiohits der letzten Zeit spielen sie auch ältere Lieder. Später sollen diese als Hetze gegen das Konzert genutzt werden.

Initiator dieses Konzerts war die Band Kraftklub. Ihr Sänger, Felix Brummer, lebt selbst in Chemnitz und ist dort aufgewachsen. Er beschreibt das Gefühl über den großen Andrang zu diesem Konzert passend als »schön zu sehen, dass man nicht alleine ist.«
Auch Marteria findet klare Worte. Der Rostocker erzählt von persönlichen Erinnerungen an den Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im August 1992.
An einem Hochhaus prangt ein großes Banner mit der Aufschrift »Die Würde des Menschen ist antastbar. (27.August 2018)«. Auf den Balkonen daneben stehen überall Menschen mit Transparenten.
»Die Toten Hosen« bilden den Abschluss zu diesem geschichtsträchtigen Konzert. Mit Gästen der Bands »Beatsteaks« und »Die Ärzte« bereiten sie dem Publikum zudem eine große Überraschung.
Wir machen uns auf den Heimweg. Vollgepackt mit Emotionen und Eindrücken, die sowohl zeigen, wie viele Menschen man motiviert bekommt, gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit einzustehen, als auch der bittere Beigeschmack der Notwendigkeit dieses Konzertes.
Gegen 01:30 Uhr morgens kommen wir wieder zu Hause an. In 5 Stunden klingelt der Wecker. Der Tag hat sich gelohnt!