Bella gibt ihren Senf dazu
Hallo Leute,
manchmal überlassen mir Kundinnen ihre ausjelesenen Zeitschriften zur Nachnutzung für andere Kundinnen. Janz praktisch für mich und meinen Salon „Scharfe Schere“, denn Lesestoff kostet. Neulich schleppte jemand eine Wochenzeitschrift namens „Kontext“ an. Der Name war mir neu und so testete ick die Nummer erst mal. Nazi-Scheiß war zum Glück nich drin, aber ziemlich schräges Zeug. Ein Artikel handelte von unserer Stadt, jeschrieben von einer Helga Stöhr-Strauch – Nachtigall, ick hör dir trapsen, dachte ick, die Frau is garantiert nich von hier – und tatsächlich, sie war vor jut zwei Monaten von Stuttgart nach Brandenburg jezogen und teilte der Menschheit nun ihre ersten Eindrücke unjefragt mit.
Solange sie unsere schönen Umgebung beschrieb, konnte ick ihr folgen, aber sobald es um die Leute hier ging, befriedigte sie eigentlich nur ihre eigenen Vorurteile – wat nu wieder meine Vorurteile gegenüber West-Tussis aus der Versenkung auftauchen ließ. Einer ihrer ersten Sätze begann mit: „Unser Nachbar Ronny (der heißt wirklich so)...“ – als wäre der Name komischer als ihr eigener! Dann ließ sie sich über die „merkwürdige Linke“ aus, die sie „SED, Pardon: Linke“ nannte. Mit gleichem Recht hätte sie den Versprecher „SED, Pardon: jetzt CDU“ produzieren können, aber stattdessen wunderte sie sich, dass Bürgermeister Scheller ein CDU-Mann ist.
Dem linken Beigeordneten warf sie vor, das Rote Kreuz bei der Neuausschreibung zur Betreibung eines Flüchtlingsheims „ausgebootet“ zu haben – dabei weiß hier doch jeder, dass die Vorschrift, bei so wat europaweit ausschreiben zu müssen, nich von den Linken erfunden worden ist. Aber dit Jeschrei hätt ick hören wollen, wenn ausjerechnet die Linken da ein bisschen jemauschelt hätten. Ick selbst bin ja in keiner Partei, wie ihr wisst, aber diese einäugigen Schuldzuweisungen jehn mir doch über die Hutschnur.
Übrigens haben in unserer Stadt bei den Linken eher die 35- bis 45-Jährigen das Sagen; die müssen dann wohl minderjährig in die SED einjetreten sein. Unsere Erforscherin östlicher Lebensart hat in der Geschäftsstelle der Linken aber nur „Mittfünfzigerinnen“ anjetroffen – ja, Kunststück, um solch ein Ehrenamt tagsüber ausüben zu können, muss man Rentner bzw. der Nachwuchs aus dem Haus sein. Frau Stöhr-Strauch, selbst Mitte 50, erwähnte bei ihrem Umzug nur Mann und Hund. Würde mich mal interessieren, ob sie nich mit wenigstens einem Kind ihre künftige Rente abjesichert hat. Dit fragt ziemlich bissig
Eurer Bella Branne