Dabei sein oder auf die Barrikade?
Ein etwas anderer Bericht einer Bildungsreise zum Europäischen Parlament nach Brüssel
Als das „kommunalpolitische forum Land Brandenburg e.V.“ im Dezember 2016 seine Bildungsreise für 2017 zu den EU-Institutionen nach Brüssel ankündigte, hatte ich mich angemeldet.
Offensichtlich, wie selten zuvor, hatte die Wirklichkeit der Europäischen Union auch die Kommunalpolitik in unserem Landkreis eingeholt. Als die Dämme an den Außengrenzen des „Schengen-Raumes“ der EU brachen, waren Notunterkünfte einzurichten. Menschen wurden in Turn- und ehemaligen Produktionshallen untergebracht, um erst einmal über den Winter zu kommen. Dann kamen an vielen Binnengrenzen zwischen den Schengen-Staaten die Grenzkontrollen zurück. Zum Ende des Jahres 2016 erreichten auch uns die Wirkungen des wesentlich von der Frau Merkel vorangetriebenen Deals mit der Türkei. Es kamen weniger Menschen an, Turnhallen und zur Unterbringung von Menschen umgenutzte Produktionshallen konnten wieder geräumt werden.
Grund genug nach Antworten auf die Frage zu suchen: Wie soll, wie wird das weiter gehen?
Im Januar 2017 kam dann noch ein weiterer Problemkreis hinzu. Mit der Veröffentlichung eines ersten Entwurfs des Wahlprogramms der LINKEN für die Wahlen zum Deutschen Bundestag standen Fragen linker Positionen zur Europäischen Union in einem umfassenderen Kontext auf der Tagesordnung.
Die Reise brachte Gespräche in der Vertretung des Städte- und Gemeindebundes in Brüssel, mit Vertretern der deutschen Sparkassen, in der Vertretung des Landes Brandenburg, Besuche im Parlament der Europäischen Union (mit der nicht nur etwas überhöhten Selbstbezeichnung „Europäisches Parlament“) und im „Ausschuss der Regionen“ sowie eine Diskussionsrunde mit den Abgeordneten Martina Michels und Helmut Scholz.
Wir trafen in Brüssel auf zwei Jubiläen. Bei der Besichtigung des Plenarsaales wurde der gerade für den feierlichen Akt zum Jahrestag der Römischen Verträge (so etwas wie die Gründungsakte der Vorläufer der Europäischen Union) gewienert. Und dann war wegen des Jahrestages des Terroranschlages von 2016 der Untergrund-Bahnhof Börse gesperrt.
So sehr beide Ereignisse räumlich und zeitlich auseinander fielen, so sehr hängen sie doch zusammen.
Den tiefsten Eindruck hinterließ bei mir ein Denkmal, an dem wir während einer „Linken Stadtführung“ durch Elsene vorbei kamen (das ist der Brüsseler Bezirk, in dem sich auch das EU-Parlament befindet): Eine aus Patronenhülsen geformte Figur hält ein Kind im Arm, dem ein Fuß fehlt. Und am Sockel findet sich die Widmung: „Gift van AFRICALLA voor de‘Gemeente Elsene“ (Geschenk aus Afrika für die Gemeinde Elsene). – Eine Frau starrt in den Himmel und hält im Arm ein Kind mit nur einem Fuß. Die 300 kg schwere und 2,4 m hohe Skulptur ist vollständig aus Patronenhülsen hergestellt, die der Künstler auf Schlachtfeldern in Zentralafrika sammelte. Seine Botschaft ist, dass die leeren Hülsen – nachdem ihre Kugeln in Afrika Menschen töteten – zurück in die Länder ihrer Hersteller, Exporteure und Profiteure kommen und anklagen.
In dieser Gegend hatten sich Menschen angesiedelt, die aus dem von Belgien brutal ausgeplünderten und gnadenlos unterdrückten „Belgisch“-Kongo kamen. Die Plünderung des Kongo war eine wesentliche Grundlage belgischen Wohlstandes. Der kongolesische Ministerpräsident Patrice Lumumba wurde noch Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Auftrage eines belgischen Kolonialministers ermordet. Davon darf redlicherweise nicht schweigen, wer heute von „afrikanischen Wirtschaftsflüchtlingen“ spricht.
Ein netter Mann vom Besucherdienst des Parlaments führte uns durch das Haus. Nach seinen Worten stellte sich für jene Parteien, die nach 1990 in den Ländern des untergegangenen europäischen Sozialismus aus den vormals dort regierenden Parteien hervorgegangen waren, die Frage: Wollen wir dabei sein oder wollen wir auf die Barrikade?
Da sage ich: Das ist Metaphysik, frei nach dem Motto: Ja, ja, nein, nein – alles andere ist von Übel.
Im Entwurf für unser Bundestagswahlprogramm heißt es:
„Wir wollen einen Neustart in Europa. Wir brauchen ein anderes Europa, mit neuen Verträgen, neuen Strukturen, neuen Hoffnungen. Die neoliberale Politik von Privatisierung, Spekulation und unsozialer Kürzungspolitik wollen wir beenden. Wir wollen abrüsten und Waffenexporte verbieten. Wir werden uns niemals damit abfinden, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in Tod und Folter abgeschoben werden. Wir wissen: Wir müssen die Ursachen bekämpfen, nicht die Symptome. Wir müssen Krieg, Waffenexporte und die Ungerechtigkeiten in der globalen Wirtschaft beenden. Nur DIE LINKE steht an der Seite von Armen und Erwerbslosen wie an der Seite der Geflüchteten. Wir streiten für ein friedliches, solidarisches und demokratisches Europa.“
Dr. Artur Pech, Schöneiche,
Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Kreistag Oder-Spree